Ich bin-Erfahrung

Das moderne Weihnachtsfest - die Ich bin- Erfahrung- ist das ganze Jahr über möglich, ja sie wird geradezu von uns erwartet. Die Zeit ist reif, möchte man meinen. Aber natürlich hat es Grundvoraussetzungen. Man muss irgendwo anhalten. Das Was-immer-uns-Antreibt muss eine Zeitlang verstummen. Die Stillen Nächte sind dazu wie geschaffen, und der Schnee der letzten Wochen hat es auch um uns herum still gemacht. Die natürliche Umgebung liegt wie erfroren. Die Erde hat ausgeatmet, und die Felder hat es mit einem Hauch von Reif überzogen. Die Natur lässt einem viel Platz in diesen Tagen. Es ist leicht, das Denken zu sammeln und sich selbst in der Sammlung zu entfalten. Jenseits des Gedachten steht man selbst mit Luft zum Atmen. Ja, in diesen Tagen ist der Atem stark.

Die Ich-bin- Erfahrung ist der Beginn von allem. Es ist die grundsätzliche Wende. Man wird von nun an nichts mehr nachlaufen, nicht einmal sich selbst und seinen Marotten. Denn wer den Geschmack dieser Freiheit, der Autonomie und reinen Präsenz seines Ich einmal geschmeckt hat, wird das unter gar keinen Umständen vergessen. Das ist so klar wie die Ich- bin- Erfahrung selbst: Man nimmt es mit. Und alles weitere wird sich schon entwickeln. Im geringsten Anfang steckt alles mit drin- verschwommen zwar und fern, aber grundsätzlich. Wenn die Geburt vollbracht ist, ist das nicht zu widerrufen, nicht einmal durch ein einschneidendes Ereignis wie den Tod. Der Tod ist ein Einschnitt, eine Transformation, aber nicht das Ende unserer Erinnerung.

Das moderne Weihnachtsfest findet in uns statt. Es gibt dafür keine Voraussetzungen, da es nur um unser Menschsein geht - Religion, Tradition, Glaube, Lebenswandel sind vollkommen gleichgültig- ebenso wie Herkunft, Klasse oder Rasse.

Lassen wir es Steiner einmal sagen: "Der Christus-Impuls hat die Eigentümlichkeit, daß er auf unsere Egoität, auf unseren Egoismus wie auflösend, wie zerstörend wirkt." GA 129, S. 220 und führen wir es weiter: Unsere illusionären, albernen Selbstbilder, Verteidigungsstrategien, Surrogate wie Erfolg, unser Getriebensein, unsere seelischen Verknotungen erscheinen im Licht der Ich-bin- Erfahrung wie eine Inszenierung absurden Theaters. Das, was uns so entsetzlich umtreibt, ist zwar das, was wir geschaffen haben, aber wir sind darinnen verstrickt wie in einen klebrigen Haufen von Kokons. Die Freiheitsmomente ermöglichen den ersten ordnenden Blick. Ganz zweifellos, nach Weihnachten müssen wir aufräumen.