Zwischenräume des Bewusstseins


Rupert Spira schreibt in Bezug auf die „Zwischenräume“ unserer bewussten Erfahrung:

„Allerdings gibt es auch Gelegenheiten im Wachzustand, bei denen die Erfahrung von Bewusstsein ohne Objekt gegenwärtig ist. Zum Beispiel die Momente des Wachzustands zwischen einer Wahrnehmung und der nächsten, wenn Bewusstsein für sich ist, ohne Objekt.


Diese Lücken oder Intervalle sind Erfahrungen in dem Sinne, dass Bewusstsein immer sich selbst erfährt, ob ein Objekt da ist oder nicht, aber sie haben keinen objektiven Inhalt.“

„Objektiver Inhalt“ meint in diesem Zusammenhang, dass diese Zwischenräume während des Wachens keinen dinglichen, inhaltlichen Bezugspunkt haben und uns daher nicht bewusst werden. Das Bewusstsein, dass da seiner selbst gewahr werden könnte, liegt - vom rationalen, deduktiven Denken her betrachtet - *normalerweise* auf der Ebene des Traums oder des Schlafes. Das Denken muss erst lernen, ohne Inhalt oder Objekt der Betrachtung „bei sich“ zu bleiben. Es geht aber nicht um Assoziationen oder Sich- Treiben- Lassen in einer Verträumtheit, sondern um eine andere, erweiterte Ebene unserer Bewusstheit oder- anthroposophisch ausgedrückt- um ein Hellwerden des schlafenden Willens, der uns immer begleitet, den wir aber nicht erinnern:

Erfahrung hört also nicht auf, wenn das Objekt entschwindet, nur der objektive Aspekt von Erfahrung, also Name und Form, endet. Erfahrung selbst, Erfahren selbst, geht weiter.

Mit dem anfänglichen Gewahrwerden unserer Zwischenräume treten wir heraus aus den räumlichen und zeitlichen Kategorien unseres Gegenwartsbewusstseins; wir treten ein in die Zeitlosigkeit. Es ist eine Bewusstheit ohne Form und ohne fixierten Inhalt. Die Kontinuität unseres Gegenwartbewusstseins und unserer Erinnerungen ist ein Konstrukt- eine Illusion. „Darunter“ liegt die zeit- und raumlose reine Gegenwärtigkeit, die unser ständiger Begleiter ist, die wir aber nicht bemerken. Ganz ihr hingeben können wir uns erst, wenn wir tatsächlich schlafen, d.h. wenn das illusionäre Gegenstandsbewusstsein schweigt.
Aber zugleich ist diese Gegenwärtigkeit auch der Schlüssel zur anfänglichen Erfahrung eines spirituellen Bewusstseins, das zwischen den Zeilen unserer Erfahrung gründet und das wir dort auch bewusst entdecken können.
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Quelle: Spira, Bewusstsein ist alles, Kirchzarten 2011, S. 126 ff