Einige unangenehme Fragen nach dem "Schulungsweg"

Bleiben wir noch etwas bei Wouter J. Hanegraaff, an dessen "Western Esotericism: A Guide for the Perplexed (Guides for the Perplexed)" und anderen seiner Bücher für jeden an Geschichte der Esoterik und Religionswissenschaft Interessierten kein Weg vorbei führt. Nehmen wir noch einen Text- Schnipsel aus diesem Buch heraus, der auch die, die sich als selbst Tätige auf einem Initiationsweg sehen, berühren muss, weil er ein Kernproblem jedes "Schulungsweges" berührt: "The ideal of ‘working on oneself’ and making spiritual progress by means of disciplined practice has become part and parcel of occultism since the nineteenth century, in tandem with the emergence of evolutionist thought: if human consciousness is supposed to evolve to ever higher levels, it obviously makes sense to try and evolve on the personal level as well."

Ist die Vorstellung von "spirituellem Fortschritt" also ein Abbild des Darwinismus? Die Übertragung der natürlichen und - angeblich- kulturellen Selektion auf den Sektor des persönlichen Bewusstseins- als Selbstverwirklichung, als Elite der Gegenwartskultur? Für Bewegungen wie EnlightenNext, die auf Andrew Cohen zurück gehen, gehört dieser elitäre, "evolutionäre" Gedanke zum Programm. Die Übenden sehen sich als "Führer" und "Pfadfinder" eines "integralen" spirituellen Menschheitsschritts: "EnlightenNext is dedicated to catalyzing evolution in consciousness and culture. We strive to be leaders, examples, and pathfinders in the emerging field of integral and evolutionary spirituality, and to stand for the ultimate relevance of spiritual enlightenment in our time."

Diese elitären Selbstbilder sind aber auch in der anthroposophischen "Schulung" weit verbreitet. Steiner selbst forderte seine Schüler auf, "Wächter ihrer Zeit" zu sein, und diese bemühen sich darum, das für das gemeine Volk erst in ferner Zukunft mögliche "Geistselbst"- Bewusstsein in sich zu entwickeln. Das Problem ist hier wie dort (als immanentes Problem jeder dieser "Schulungen") die Exklusivität; d.h. das elitäre Selbstgefühl gegenüber denen, die nicht praktizieren. Das Sich-auf-dem-Schulungsweg- Sehen als Elite der Menschheit ist verführerisch und korrumpierend; es verhindert das, was es zu geben vorgibt: Den unbefangenen Blick, die klare Selbstsicht, die offene Kommunikation, die essentielle Bereitschaft, zu lernen.

Worin genau, bohrt Hanegraff weiter, unterscheiden sich diese darwinistischen Sei-du-selbst- Wege (die zu gefühlter Macht über Andere führen können) von anderen Karrieren, etwa der eines Aleister Crowley (die zu tatsächlicher Macht über Andere führen können), der auch auf das Sei-was-du-willst zielte? Schließlich darf man den "Schwarz- Magier" Crowley nicht simpel abtun, da sein "Wille" natürlich schon auf ein geistig Existentes, auf eine Offenbarung zugehen wollte: "The case of Aleister Crowley may serve here as an example. At first sight, his famous definition of magic – ‘the Science and Art of causing Change to occur in conformity with Will’ – might seem like a perfect illustration of the occultist’s lust for power over the outside world. But in fact, the wide range of ‘magickal’ practices with which Crowley experimented during his lifetime were not aimed at goals so naïve as the acquisition of Harry Potter-like abilities: rather, they were subservient to a spiritual goal of personal self-realization described as finding one’s ‘true Will’ (more congenial to the category of ‘progress’, below). On the whole, the sensational topos of untrammelled lust for power and control has more to do with stereotypical imaginations of ‘magic and the occult’, pertaining to the level of mnemohistory, than with the actual historical sources of Western esotericism."

Die "Selbst- Realisation" im Sinne eines schrittweisen, exklusiven Schulungsweges hat also unterschiedliche Facetten. Als Abbild eines geistig- spirituellen Darwinismus oder der gefühlten Speerspitze einer Menschheits- Evolution trägt sie den Dünkel vor sich wie eine Monstranz- eben den Dünkel, den sie abzulegen behauptet. Der feinsinnige Schüler der Geisteswissenschaft fühlt sich ebenso seinen bloß intellektuellen Zeitgenossen entwachsen. Dass er sich dabei wie ein Esel um den Pflock seiner Selbstbezüglichkeiten dreht, ist ihm wohl entgangen.