Wilfrid Jaensch: Madonna - Die gnadenhafte Stillung aller Bedürfnisse

Fangen wir doch bei Jaensch lieber von hinten an, lieber von hinten als gar nicht, lieber nur im Blog hingekritzelt als in nicht gelesenen Büchern erstickt- jedenfalls muss Jaensch weiter und neu entdeckt werden, denn wo sonst gibt es derartig stimmige Imaginationen? Wilfrid Jaensch kann auch deshalb neu entdeckt werden, weil sein Briefwechsel mit Dietrich Spitta (Dietrich Spitta (Hrsg): Wilfrid Jaensch - ein moderner Geistesforscher) ihn leichter zugänglich macht als das Auffinden verstreuter Aufsätze oder auch die manchmal zunächst schwierig erscheinende Prosa eines seiner Bücher. Zudem entfaltet sich Jaensch in den persistierenden Fragen Spittas nach und nach, so dass der Leser der Tiefe und dem Realismus Jaenschscher Bilder und Entwürfe Schritt für Schritt folgen kann.

Der Madonna von Jaensch nähern wir uns in einem ersten Umkreisen schon deshalb an, weil wir bei den Egoisten gerade von den Urformen göttlich- weiblicher Verehrung her kommen, den jahrtausendelang verehrten Figurinen. Jaensch schreibt (S. 242) von einer inneren konkreten Utopie jenseits des Dualismus; jenseits der Trennung von Wachen und Schlafen, von Mann und Frau, von Denken und Wille; jenseits vor allem von jenseits. Hier, wo es kein Dort gibt, beginnt das Reich der Madonna- in der man, sich selbst erschaffend, zugleich Madonna und Kind ist, in dem die menschliche Bedürftigkeit im Sinne des Buddha, die existentielle Geworfenheit, aufgehoben und der Mensch der Not enthoben wird; in einem Akt der Gnade:

"Der sog. Sündenfall bewirkte — auch gemäß den Resultaten von Steiner — die Trennung der Geschlechter, zugleich aber auch die Trennung von Gehirn (Wachbewusstsein) und Unterleib (Schlafbewusstsein) oder von Denken und Willen. 

Nun hat jeder Mensch eine Erinnerung an den ursprünglichen Zustand der ungetrennten Selbsterzeugung (also Selbst-Erkenntnis), und zwar durch den Zusammenhang des privaten Ätherleibs, der ebenfalls gestürzt ist, mit dem Sonnenäther. Dieser Zusammenhang ist da, und zwar als ein verlorener, der sich also in Sehnsucht äußert. 

Ebenfalls ist die Sexualbegierde, welche denselben Ursprung hat wie die Erkenntnisbegierde, ihrem Ziel nach auf die Vereinigung gerichtet, nicht nur zwischen männlich und weiblich, sondern auch innerhalb von Mann und Frau: Vereinigung zwischen Denken und Wollen. — 

Wenn man nun plötzlich in den Zustand entrückt wird, wo man die ursprüngliche Selbsterzeugung miterlebt, dann erlebt man, dass alle Begierden erfüllt sind: nicht überwunden, sondern gnadenhaft gestillt. Was man miterlebt, ist die männlich-weibliche Vereinigung in der Brustregion der Madonna mit dem Kind und zugleich die moralisch-intellektuelle Einheit von Weisheit, Schönheit und Güte, in dem Verhältnis des Tragens und Blickens. Deshalb zeichne ich immer die Madonnen-Brust enthüllt, und zwar mit dem Symbol für Sonne:   
."