Massimo Scaligeros faschistische Jahre

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Wieder einmal geht es in den Streitgesprächen - diesmal mit italienischen Anhängern Scaligeros in einer amerikanisch- anthroposophischen Internetgruppe- um die Vergangenheit des auch von mir und auf dieser Website hoch geschätzten Massimo Scaligeros- nämlich seiner faschistischen Zeit vor 1945, als er in einem Gefängnis eine offensichtliche spirituelle Wandlung durchlief. Sämtliche relevanten Arbeiten von ihm entstanden in den Jahren danach, in denen er den Rest seines Lebens nahezu jedes Jahr ein Buch produzierte, wovon allerdings nur fünf ins Deutsche übersetzt und kaum eines aktuell verfügbar ist.

Eine sehr kritische Betrachtung Scaligeros von Peter Staudenmaier habe ich vor Jahren ins Netz gestellt. Ein aktuelle Betrachtung von ihm ist in ANTHROPOSOPHY IN FASCIST ITALY (Journal article published in Arthur Versluis, ed., Esotericism, Religion, and Politics (North American Academic Press, 2012), 83-106) erschienen und in die oben genannte Internetgruppe hoch geladen worden. Staudenmaier stellt darin heraus, dass Scaligero keinesfalls nur, wie seine italienischen Anhänger behaupten, einer von Millionen Mitläufern war- er war ein im Zentrum des italienischen Faschismus stehender Rassist: "Scaligero was a major spokesman for what he termed "spiritual racism." While several other anthroposophists served as active functionaries in the Fascist racial bureaucracy, Scaligero's chief position was that of publicist, calling for an intensified application of the race laws in nearly a hundred articles on race, as well as a 275 page book on race, which he produced between the introduction of the Fascist racial legislation in 1938 and the fall of Mussolini's first regime in 1943."

Scaligero war der merkwürdigen Ansicht, den Antisemitismus mit anthroposophischen Vorstellungen begründen zu können - etwa seien Juden Repräsentanten Ahrimans: "Scaligero viewed “anti-Judaism as anti- materialism,” casting the Jews as representatives of “sub-human Ahrimanic forces.” Freemasonry, Bolshevism, England, and the United States were all pawns in “the secret Jewish plan,” part of “the occult struggle of the Elders of Zion” against Fascism and Nazism. He thus championed Hitler’s call for “a united Aryan front against Jewry.”" Diese und viele andere ideologische Äußerungen widerlegen auch die häufig von Anthroposophen geäußerte Ansicht, Scaligero habe vor 1945 nichts mit Anthroposophie zu tun gehabt. Im übrigen ging er - ebenfalls laut Staudenmaier, der jede Quelle einzeln nachweist und kennzeichnet- so weit, zur Ausrottung des "jüdischen Virus" aufzurufen: "Citing Nazi race theorists as a model, Scaligero endorsed racial “selection” in order to achieve “the purification of the hereditary protoplasm” as well as purification of the spirit. He called for “the elimination of the Judaic virus and the biological re-integration of Aryan ethnic values” as an essential part of “the heroic task of the spirit within the racist campaign.”"

Wie ich schon vor Jahren geschrieben habe, bestand ein besonders belastender Faktor in der jahrzehntelangen engen Freundschaft Scaligeros mit dem italienischen Okkultisten und Faschisten Julius Evola. Auch in seiner späten Autobiographie pries Scaligero diese seit etwa dem 20. Lebensjahr bestehende Freundschaft und verniedlichte das zerstörerische Potential Evolas, der ein Ideologe des Massenmords war: "Man versteht das vielleicht, wenn man im selben Buch von Scaligeros Beziehung zu Julius Evola liest, dem er mit 20 Jahren begegnet ist: „Ich wollte Evola kennenlernen, da ich hörte, dass er ein mutiger Denker sei, dass er fähig war, sich mit sehr tiefen Aussagen der gegenwärtigen Kultur zu widersetzen.“ Er erlebte Evola als ein „Urbild von Kraft und Mut“, freundete sich mit ihm an, „und ich war für mehrere Jahre sein Schüler.“ („Dallo yoga alle rosacroce“)"

Der "mutige Denker" Evola ist bis heute ein Vorbild für rechte Terroristen und Faschisten, wie man auch auf einer deutschsprachigen Seite nachlesen kann: "Im April 1951 wurde Evola wegen „Verherrlichung des Faschismus“ und wegen „Bildung einer faschistischen Verschwörung“ verhaftet, in einem aufsehenerregenden Prozess jedoch freigesprochen. In der Folgezeit wurde Evola zum Vordenker des radikalen Flügels des Movimento Sociale Italiano um Giorgio Almirante und Pino Rauti, aus dem die spätere Terrororganisation Ordine Nuovo hervorgehen sollte. Evola bekannte sich offen zu dem Einfluss, den er auf Ordine Nuovo ausgeübt hatte. Im Verlauf der ideologischen Auseinandersetzungen im Gefolge der 68er-Bewegung bezeichnete Almirante Evola als „Marcuse von rechts“.
In den 1980er Jahren galt Evola den Bewaffneten revolutionären Zellen, die im Londoner Exil lebten, als ideologische Grundlage. Heute ist Evola neben Savitri Devi, Miguel Serrano und Jan Udo Holey der wichtigste Autor für jene Kreise, die Esoterik und Antimoderismus miteinander verbinden wollen. Auch in Teilen der Neuen Rechten wird er als wichtiger Kulturphilosoph betrachtet. Für die ansonsten vorherrschende Einschätzung Evolas sei exemplarisch Umberto Eco genannt, der ihn als „Operetten-Okkultist“ und „faschistischen Guru“ bezeichnet."

Im übrigen pries Evola mit seinem Begriff des Kshatriya - Kriegers ein spirituelles Ideal, das sich im Massenmord verwirklichte und in der deutschen SS eine erste Verwirklichung fand. Der Versuch Evolas, zum spirituellen Chef- Ideologen der deutschen Führungsriege zu werden, schlug fehl. Sein Einfluss zeigt sich aber in der bis heute bestehenden Verfügbarkeit vieler seiner Bücher. Es ist schwer vorstellbar, dass dieser "Lehrer" auf den Schüler Scaligero keinen umfassenden Einfluss gehabt haben soll- in einer Beziehung, die über Jahrzehnte bestand.

Dankenswerterweise hat das anthroposophische Biographieprojekt "Forschungsstelle Kulturimpuls" nach langem Zögern die extrem beschönigende biografische Notiz bzgl. Scaligero heraus genommen- der Beitrag "wird überarbeitet". Man muss an dieser Person, die wohl tief verwickelt war in die obskursten geistigen Abwege, aber auch nach dem Krieg ein Werk hinterlassen hat, das davon unberührt ist, geradezu kristallin und präzise, tatsächlich arbeiten- es ist ein Mensch am Abgrund, der sich sicherlich befreit hat und tatsächlich etwas mitzuteilen hat, auch für heutige und zukünftige Leser. Aber man darf meiner Meinung nach nichts beschönigen, sondern muss mit ihm ehrlich und offen umgehen. Es ist verständlich, wenn jemand dies angesichts der Abgründe Scaligeros nicht tun möchte. Ich denke allerdings schon, dass dies ein Fehler wäre.