Wilfrid Jaensch: Wille als geschlossene Faust und Hingabe

Wille allein genügt nicht. Das ist auch eine Quintessenz aus dem Arbeitsbuch Wilfrid Jaenschs - "Dietrich Spitta (Hrsg): Wilfrid Jaensch - ein moderner Geistesforscher" , S. 284 -; wobei es um die pragmatischen Muster, Sackgassen und Ausblicke innerer Arbeit geht. Man möchte das auch nicht dem Themenbereich "Anthroposophie" zuordnen - Wilfrid Jaensch hat sich nie als Anthroposoph gesehen; er betreibt mehr humane Grundlagenforschung; etwas für den mystischen Alltag; etwas, was kein Label benötigt, keine Schule und wenig Tradition. Das ist in gar keiner Weise despektierlich gemeint- vielmehr in dem Sinne, dass man ähnliche Erfahrungen auch als Musiker oder Künstler generell macht. Nicht nur die eigenen (oft irrealen) Ansprüche, sondern auch die Bemühung an sich verschließt, obwohl sie notwendige Bedingung für jedes Geschehen ist, zugleich so weit, dass das Geschehen unmöglich wird. Denn: "Wenn der Wille sich derart konzentriert, so ist er wie eine geschlossene Faust. Aber eine Faust kann keine Erfahrungen machen." Der Komponist, der so in der Materie ist, dass sie sich ihm verschließt, der Maler, der sein Bild, konsequent weiter arbeitend, zugrunde richtet, der an der technischen Perfektion erstickende Bildhauer, der Mystiker, der an klebriger Innerlichkeit kleben bleibt wie eine Fliege an der aufgehängten Falle: Wo alles geht, geht nichts mehr. Jaensch schreibt:

"Sie erinnern sich vielleicht daran, dass ich die Logik des Widerspruchs entwickle. Der Widerspruch löst alle Begriffe des Verstandes auf. Dennoch ist er ein Denken. Inhaltlich bleibt „nichts“ übrig. Damit das „Nichts“ nicht zum Schlaf führt, muss eine Wachheit erzeugt werden, die nur noch aus dem eigenen Willen kommt. Das kann man erreichen. 

Aber hier liegt eine Klippe. Wenn der Wille sich derart konzentriert, so ist er wie eine geschlossene Faust. Aber eine Faust kann keine Erfahrungen machen. Sie muss sich öffnen wie die Hand eines Liebenden. (Man nennt es das Öffnen der Knospe zur Blüte.) 

Technisch gesehen, so muss der Wille aus dem Zentrum in den Umkreis ausströmen. Dies ist die Hingabe. Die Klippe besteht darin, dass die Kraft der Konzentration, welche notwendig ist, zugleich die Gegenkraft entwickeln muss. Aber woher soll man sie nehmen? Man muss sie lernen, und zwar im Leben selbst. Dazu dienen die Berufe. Jeder Beruf ist Dienstleistung für Andere. Diese Tatsache kann man benützen, um den eigenen Willen in Fluss zu bringen. 

Anthroposophisch gesprochen, so stehen hier die Karma-Übungen. Jeder Berufstätige macht sie, aber ohne es zu wissen. Das Wissen muss aber dazu kommen, sonst nützt es nichts für die Forschung. Der Nutzen für die Forschung besteht darin, dass man die Erfahrung macht, Geist lebt auf der Erde in den Beziehungen zwischen den Menschen. Diese Beziehungen sind die Götter. Sie offenbaren sich im tönenden Leib des Gesprächs. Hier bekommt die mündliche Sprache eine Wirklichkeit, die intensiver ist als der bloße Gedanke. Der Gedanke ist die Beziehung zwischen den Tatsachen. Das Gespräch ist aber die Beziehung zwischen denen, die den Gedanken denken. Sie ist übergeordnet, also geistig intensiver, deshalb dem Menschen nur träumend bewusst. In dieser Sphäre lag meine Ausbildung der letzten Jahre. Was zur Fähigkeit wird, kann ich in der Logik dann anwenden. Andererseits wird die logische Forschung zur Lebenspraxis, Forschen und Verhalten schließen sich zum Kreis."

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Foto aus dem Interview Jaenschs mit Susanne Becker im Waldorf- Lehrer- Seminar Berlin