Anthroposophische Konspirationstheorien oder: Die Macht der 27jährigen

Sehr beliebt in den anthroposophischen Kreisen sind Verschwörungs- und Konspirationstheorien, ursprünglich, und nicht unwesentlich von Rudolf Steiner selbst in die Welt gesetzt, vor allem vonseiten der - allein in diesem Fall- verbündeten Freimaurer und Jesuiten: "Die Kain-Strömung fand im Laufe der Zeiten ihre Hauptvertreter in der F. (Freimaurerei-Strömung), während das Abelitentum seinen Ausdruck fand in der Priesterströmung der (katholischen?) Kirche. Beide Menschheitsströmungen blieben einander streng feindlich. Nur einmal vereinten sie sich in Eintracht: in ihrem Hass gegen die Strömung der Mitte. Das Ergebnis dieser einträchtigen Vereinigung beider sonst feindlicher Richtungen war die Vernichtung des Johannesbaues (Goetheanum)." (R.St. GA 265, S. 460)

Dazu kommen wahlweise weitere "finster-ernste Machenschaften" (Thomas Meyer), etwa gern von amerikanischer Seite, die ja Steiner als Ausbund des Materialismus in Gestalt ihres Präsidenten Woodrow Wilson schon im okkulten Visier hatte. Thomas Meyer verknüpft in einem weiteren Artikel die Person dieses Präsidenten, den Steiner auch in seinen karmischen Betrachtungen scharf angegangen war, mit einer weiteren Aussage Steiners, dass der typische Gegenwartsmensch nicht älter als 27 Jahre* alt werde; Woodrow Wilson wird so zum "Urphänomen der Siebenundzwanzigjährigkeit". Das klingt despektierlich und ist auch so gemeint. Meyer macht daraus im Handumdrehen eine komplette Verschwörungstheorie: "Und da das gesamte öffentliche politische und wirtschaftliche Leben im Laufe der letzten zweihundert Jahre – abgesehen von dem europäischen Absturz in das Dritte Reich und dem östlichen in den Bolschewismus – in zunehmendem und (auch für europäische und östliche Angelegenheiten) entscheidendem Maße von Angehörigen der anglo-amerikanischen Weltströmung dominiert wurde, sind markante Repräsentanten des Wirkens aus den Impulsen der Siebenundzwanzigjährigkeit in großer Zahl gerade bei Politikern, Unternehmern und Publizisten des Westens anzutreffen."

Aber zurück zu Steiners Konspirationstheorien. Er war - wenn man Ehrenfried Pfeiffers Behauptungen folgt, der Meinung, dass der Brand des ersten Goetheanums, bei dem ein Mensch zu Tode kam, den Machenschaften finsterer Mächte entsprang, wobei der Tote meist als okkult gesteuerter Brandstifter (er war ein Uhrmacher und Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft**) betrachtet wird. Im übrigen ist Steiner selbst nach Meyer (u.a.) kaum zwei Jahre später durch ein höchst merkwürdiges orientalisches Gift zu Tode gebracht worden, das nur Mittwochs wirkt: "Dr. Wachsmuth meinte, 'der Doktor sei am Rout vergiftet worden. Es war ein orientalisches Gift, das auf den Ätherleib wirkt und jeden Mittwoch eine Krisis hervorruft."

Der tiefere Sinn in solchen Offenbarungen liegt offenbar darin, dass Anthroposophen per se geistig derartig bedeutend für weltweit agierende Kreise dunkelster Art sind, dass sie jederzeit mit Ermordung rechnen müssen: "Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft zu sein, ist eine lebensgefährliche Angelegenheit, wenn solche Dinge möglich sind. Natürlich handelt es sich hier in beiden Fällen um grau- bis schwarzmagische Leistungen von hohem Grade, die gut und lange vorbereitet wurden und die nicht ohne weiteres beschlossen werden. Solche Dinge werden vielleicht einmal pro Jahrhundert inszeniert." Man ist halt als Anthroposoph im Fokus sämtlicher Mächte, was für den Einen oder Anderen offenbar vor allem einen Ego- Boost in der Phantasie auslöst.

Nun mag es niemanden wundern, dass ein Historiker wie Peter Staudenmaier (Stichwort für Thomas Meyer: Professur an einer jesuitischen und amerikanischen Uni!) etwa in Bezug auf den Brand ganz anderer Ansicht ist. Er hält schlicht die Feuerschutzmassnahmen am hölzernen Goetheanumbau für fahrlässig, so dass ein Schwelbrand stundenlang nicht lokalisiert werden konnte. Der ganze Mythos um die Brandstiftung wurde demnach im Nachhinein inszeniert: "Some anthroposophists today believe that the body of a supposed arsonist was found in the rubble afterward. According to Maikowski's first-hand account, this ostensible arsonist was one of the people most actively involved in battling the flames; he helped Maikowski and Kolisko (both prominent anthroposophists) fight the blaze, putting himself in grave danger. For believers in the arson notion, the explanation for this is that the putative arsonist was suddenly stricken with remorse. This idea makes no sense. For one thing, it would mean he was an exceptionally inept arsonist, unable to set anything close to an adequate fire, who moreover chose to strike just when the building would be full of people who could foil his plans. It would also mean that he was somehow hanging around the Goetheanum all evening waiting to see if the flames would actually catch, and then, hours later, became impulsively guilt-ridden and tried to undo what he had allegedly done. So much for a vast and powerful conspiracy.

The Goetheanum burned down due to anthroposophists' incompetent response to a localized, small-scale, and weak fire that had been smoldering for hours before they got to it, in a large building constructed of wood. The fact that the arson story remains popular indicates how little Steiner's followers know about the history of their own movement." (Waldorf critics Artikel)

Das Rationale hat es gegen Weltverschwörungen immer schwer, vor allem, wenn das Blickfeld eingeengt ist, und das Selbstgefühl nach Bedeutung schreit.

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*"Die meisten Menschen, die Ihnen jetzt entgegentreten, (...) werden nicht älter als kaum 27 Jahre; dann trotten sie fort mit dem, was sie gelernt haben und so weiter. (...) Weiter studieren heute, nicht wahr, fortlernen, ein verwandlungsfähiger Mensch bleiben, das findet man außerordentlich selten. (...) Nun möchte ich aber wissen, (...) wie viele Menschen das Notwendige ergreifen wollen, was für die Zukunft der Erdenmenschheit dastehen wird: das immer währende Lernen, das immer währende In-Bewegung-Bleiben. Und das wird nicht zu erreichen sein ohne das eben geschilderte Interesse von Mensch zu Mensch. Liebevoll hinblicken können auf die Menschen, sich interessieren für die Eigenart der Menschen, das ist dasjenige, was die Menschheit ergreifen muss." (R. Steiner, GA 185)

**"Der vermißte Ott (..) wird von der Polizei verfolgt, erstens weil man als fast sicher ausschließen kann, daß er während des Brandes umgekom­men ist; denn die einzigen Personen, die durch gewaltige Rauchentwicklung, durch Feuer oder herabstürzende Trümmer gefährdet wurden, waren die in der ersten Brandphase von 10 1/4 bis 12 Uhr mithelfenden privaten oder staatlichen Löschmannschaften, wie zum Beispiel der Feuerwehrmann Schleutermann, der bei den ersten Löschversuchen in schwere Ohnmacht fiel. Nun ist aber Ott nachweisbar nach 12 Uhr von verschiedenen Personen noch auf der Brandstätte gesehen worden, wo er unter anderm Anthroposophen-Mitgliedern die Hand gab. Ein Mensch konnte - wie dies auch die Ansicht Dr. Steiners ist, den wir in dieser und anderen Sachen zu interviewen Gelegenheit hatten - bei dieser Katastrophe nur umkommen, wenn er gewillt war, sich das Leben zu nehmen.

Nach Ausschaltung dieser Möglichkeit und nachdem alle Anzeichen darauf hinweisen, daß Ott geflüchtet ist, und zwar, wie es heißt, über die Grenze, war es gegeben, Ott, dessen Verschwinden höchst merkwürdig ist, nachzuforschen und ihn zu verfolgen, da die bis jetzt einvernommenen Zeugen schwerwiegende Ver­dachtsgründe gegen ihn eröffnet haben, während nach anderen Richtungen hin absolut kein Verdacht vorliegt.
Nachdem durch Zeugen und Ezpertisen unzweideutig festgestellt worden ist, daß weder Kurzschluß noch maschinelle Leitungsdefekte den Brand verschuldet haben können, ist mit fast ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß böswillige Brandstiftung vorliegt. Auch die amtliche Untersuchung scheint nun zu dieser von Dr. Steiner bereits am Brandtag behaupteten Annahme gekommen zu sein. Nach ihm, der sich doch wohl in der Konstruktion des Baues am besten auskennen wird, muß der Brand in der Zeit von 5-7 Uhr abends gelegt worden sein. Denn: Der Rauch wurde etwas nach 10 Uhr zuerst im sogenannten «weißen Saal» in der dritten Etage bemerkt. Die hier sowie im zweiten Stock nach Feuer angestellten Untersu­chungen blieben erfolglos, erst als im Parterrezimmer der Südseite ein Loch in die Konstruktion geschlagen wurde, brandeten die Flammen den Wächtern entgegen. Das Feuer mußte also, da es sich in den dritten Stock hinaufarbeiten konnte, schon etliche Stunden vor 10 Uhr gelegt worden sein. In diesem Zimmer fand etwa um 6 oder 6 1/2 Uhr eine Dame, die sich hier umzukleiden pflegte, den vorher an der Wand hängenden Spiegel auf dem Boden zerschlagen vor. Diese Dame wirkte im Eurythmie-Weihnachtsspiel mit und kam nach dem Prolog im Himmel (da ihre Rolle damit beendet war), sich in besagtem Zimmer umzukleiden. Wegen Repara­turarbeiten war, wie unsere Leser ebenfalls bereits wissen, eine Leiter außerhalb des Zimmers aufgestellt, so daß es für einen Täter äußerst leicht war, von außen an den Brandherd zu gelangen. Durch Schläge von außen, zur Legung des Feuers, kann auch das Herunterfallen des Spiegels leicht erklärt werden.
Diese Stelle soll die einzige des ganzen Baues gewesen sein, wo infolge der früher beschriebenen Konstruktion die Lokalisierung eines Brandes unmöglich war. Der Täter muß deshalb mit der Konstruktion und den vorliegenden Verhält­nissen äußerst vertraut sowie ein guter Mechaniker sein.
Weshalb Ott im Verdacht steht, entweder der Täter oder Mitwisser zu sein, und weshalb seine Eingreifung sicher­lich etwas zu Tage fördern wird, beruht auf folgenden Zeugenaussagen:
Ott wurde seit der Brandnacht vermißt. Die Administration des Verlags am Goetheanum forschte am Dienstag Abend, als Ott, der als Aquisiteur für die «Anthroposophen»-Zeitung tätig war, sich nicht mehr eingestellt hatte, bei Otts Vater nach dessen Verbleib. Die hier erhaltene Auskunft lautete, er sei seit dem Brande nicht mehr nach Hause gekommen, was aber nicht aufgefallen war, da Ott öfters die Gewohnheit hatte, auswärts bei einer bekannten Familie zu über­nachten.
Ott war seit Juli 1922 Mitglied der Anthroposophen. Er war aber, außer bei der Administration der Anthroposophen-Zeitschrift, nur wenig bekannt. Dr. Steiner selbst kannte ihn nicht und hörte erst nachträglich, daß dieser bei der bekannten «Einbürgerungskampagne» in Dornach-Arlesheim für Steiner Unterschriften ge­sammelt und damit sehr renommiert habe." (Basler Nachrichten, 5. Januar 1923)