Chakren - Lehren in der anthroposophischen Welt

Bildquelle Verlag Freies Geistesleben
Es spricht wohl Bände, dass es bei dem Thema Chakren - die doch auf dem von Rudolf Steiner aufgezeichneten Schulungsweg an zentraler Stelle stehen-, in der anthroposophischen Buchwelt ziemlich still ist, sehen wir einmal von Florin Lowndes ab.

Dessen Schulungsbuch "Die Belebung des Herzchakras. Ein Leitfaden zu den Nebenübungen Rudolf Steiners" sieht den Zusammenhang zwischen der "Hauptaufgabe" Steiners, "Geistesschüler auf den Weg der Entwicklung zu bringen" und dessen so genannten "Nebenübungen", die sich vor allem auf soziale, geistige und willentliche Muster der Schulung beziehen, in deutlicher Anlehnung an buddhistische Vorbilder. Lowndes stellt die Chakren und den heute angemessenen Umgang damit natürlich auch vor- durchaus anregend und Gewinn bringend, allerdings auch in einer sich vertrackt in Systematik verlierenden Art und Weise. Tabellen und ständige Aufzählungen sind nicht unbedingt förderlich für den Fluss des Vorgetragenen; auch seitenlange Steinerzitate sind es nicht.
Lowndes macht auch nicht immer den Eindruck, als spräche er aus eigener Erfahrung heraus, denn so rätselhafte Äußerungen Steiners, dass sich eine "Art Ätherherz" .. "außerhalb des menschlichen Leibes etwa über dem Scheitel entwickelt" - und nicht etwa nur in der Brust - bleiben bis auf die treuherzige Aufforderung, man müsse derlei Äußerungen Steiners ganz konkret nehmen, unerklärt, undurchlebt. Dabei ist diese Lokalisierung schon von erheblicher Bedeutung, wenn Steiner dies als eine "Art Denkorgan" bezeichnete, mit dem der Mensch "herzlich bei dem (ist), was er geisteswissenschaftlich erkennt." (Lowndes, S. 56) Ein anderes Rätsel bei Lowndes bleibt für mich das achtblättrige Chakra, ein sekundäres oder Nebenchakra, das in Nähe des Herzchakras in der Brust liegt und auch bei Steiner nicht identisch mit dem Solarplexus ist. Seine enorm wichtige Entwicklung entfaltet sich gerade im Zusammenspiel mit Stirn- und Herzchakra und entspricht dem Lebensprinzip, der geistigen Kraft des Lebens, im Sanskrit als "Prana" bezeichnet (Lowndes, S. 60). Erst die Entfaltung des Zusammenspiels der Chakras als System ermöglicht tatsächlich das Einschwingen in Energien, durch die "ein neues Zentrum des Menschen entstehen" kann- eine reale spirituelle Kraftgestalt. Nach Steiner wird der "Lebensstrom des Ätherleibes" in der Herzgegend erweckt und dann erst, durch "das Verlangen nach Befreiung" als "Ätherorgan in der Nähe des Herzens zur Reifung" (GA 10, S. 147) gebracht. Das ist das A und O tatsächlicher spiritueller Arbeit heute.

Interessant, dass der Umgang mit solchen energetischen (und moralischen) Strömen in anderen Zusammenhängen ganz gut bekannt ist- wenn auch vielleicht nicht in der ganzen Ich- haften (also voll bewussten) Präsenz. Schließlich fliessen solche Energien auch in die Hände aus und sind somit ein uralter Bestandteil geistiger Heilungsvorgänge. In "Energieheilung: Die Kräfte des Energiekörpers wahrnehmen, harmonisieren, nutzen" geht Ann Marie Chiasson zumindest im Ansatz ganz selbstverständlich damit um: "Wie diese Energiewirbel sich drehen und wie ihre Energieströme miteinander kommunizieren, davon hängt der Gesundheitszustand unseres Körpers ab. Jedes dieser Chakras erfüllt eine Funktion und wirkt sich auf den Körper aus. Je nachdem, ob darin ein gesunder Energiefluss oder ein Mangel an Energie herrscht, haben sie jeweils andere Auswirkungen auf die Funktion unserer Organe."

Als moderne Heilerin spürt sie den eigenen inneren Empfindungen von energetischen Strömen nach und rätselt über den Zusammenhang mit tradierten chinesischen, mexikanischen und asiatischen Lehren: "Jeder Heiler spürt, sieht und beschreibt den Energiekörper je nach seiner Ausbildung etwas anders. Ich habe diese Unterschiede während meines jahrelangen Studiums der Energieheilung manchmal als irritierend empfunden. Ich hatte immer das Gefühl, nur dasjenige System wahrnehmen oder sehen zu können, das ich gerade erlernte." Sie sieht schließlich einen möglichen Zusammenhang der unterschiedlichen energetischen Systeme, indem sie verschiedene Tiefenschichten postuliert. Das ist etwas rudimentär, nicht exakt ausgeführt, aber eine interessante Anregung, etwa über die Meridiane bei Akupunkturpunkten im Zusammenhang mit Chakras nachzudenken. Insgesamt bleibt es bei Chiasson aber auf der Ebene leiblich gebundener Energieströme, während es bei Steiner offensichtlich um die rein ätherisch- leibfreie Ebene - und damit um Erkenntnis und geistige Selbstgewahrwerdung - geht.

Die Forschungsarbeit an den Chakren bleibt in meinen Augen, wie verschiedentlich dargestellt, eines der Hauptanliegen dieses Blogs. Mein diesbezüglich grundsätzlicher Aufsatz in Die Drei ist leider nicht mehr online erhältlich.