Ist Kaspar Hauser ein anthroposophischer Mythos?

Kaspar Hauser, chic gemacht
Ton Majoor war hier im Blog so freundlich, eine Beschreibung Hausers durch Georg Friedrich Daumer, dem Erzieher von Kaspar Hauser, einzufügen: "Im ganzen erschien er als ein nüchterner, verständiger Mensch, dem sehr wenig Poesie und Phantasie eigen; er hatte aber sehr poetische Träume und es schwebten ihm zuweilen auch im Wachen merkwürdige Bilder vor. … Hauser hatte Momente, wo ihm eine plötzliche Erleuchtung und Offenbarung zu kommen schien und wo ihm symbolische Bilder voll tiefen Sinnes in visionärer Weise vor Augen traten."

Die besondere - auch okkulte- Bedeutung, die viele Anthroposophen in der Nachfolge des notorisch schwadronierenden Peter Tradowsky pflegen, beruht zu guten Teilen auf höchstwahrscheinlich gefälschten Gesprächsnachschriften mit Rudolf Steiner. Tatsächlich hat Steiner nichts Außergewöhnliches zu dieser Person geäußert: "Rudolf Steiner erwähnte Kaspar Hauser in zwei Vorträgen. Im Vortrag vom 17. Juni 1908 in Nürnberg dient Kaspar Hauser als Beispiel für Steiners menschenkundliche Aussage, dass die Erinnerungsfähigkeit mit dem Erwachen des Intellekts zurück geht. Ausserdem erwähnt er das Wahrheitsempfinden Hausers und seine besänftigende Wirkung auf wütende, wilde Tiere Im Vortrag vom 23. März 1923 in Dornach spricht Rudolf Steiner nicht eigentlich von Hauser, sondern zitiert beiläufig eine Stelle aus Jakob Wassermanns Hauser-Roman. Dazu kommen einige mehr oder weniger zuverlässig überlieferte Bemerkungen in verschiedenen Gesprächen. Entscheidend ist, dass in all diesen Aussagen keinerlei Hinweise auf eine adlige Abstammung, auf eine politische Mission oder auf eine Verbundenheit Hausers mit der rosenkreuzerischen Strömung gemacht werden!" (Quelle Albert- Steffen- Stiftung). Dagegen ist die zentrale angebliche Aussage Steiners, die praktisch das Fundament für die "Arbeiten" Tradowskys bildet, gefälscht- nämlich die, die Zukunft der Menschheit hinge von der Lösung der Frage ab, "Woher kam Kaspar Hauser?". Michaelis´ - eines Krankenpflegers - Motivation, den Nachlass von Polzer- Hoditz zu fälschen, hat sicherlich in der Bedienung der Sensationslust und in dem Willen, Albert Steffen zu schaden, gelegen. Auch Günther Kreidl bestätigt: "1950 hatte Michaelis eine Fassung in Schreibmaschinenschrift in Umlauf gebracht, die beide Fassungen mit Änderungen und Erweiterungen (von ihm selbst!) sowie Auszüge aus einem mittlerweile "verschollenen" Tagebuch von Polzer-Hoditz enthält. Durch das Auffinden der Originalfassungen ist es möglich geworden, Michaelis' Änderungen und Erweiterungen klar nachzuweisen."

Tradowsky, der ja auch die Kreise um Judith von Halle herum anführt, hat mit seinen Spekulationen über den Christus- Eingeweihten Kaspar Hauser (dessen irrationale Nachfolge quasi nun von Halle antritt), bis heute tief in die Szene eingewirkt, da sein Buch praktisch zum Standardwerk dieser Szene geworden ist. Hier ist so ein Beispiel, in dem man blind auf Tradowsky setzt.

Ich habe die Collage von Hauser nicht mit ironischer Absicht eingesetzt, sondern um ihn einmal mit anderen Augen ansehen zu können- etwas, was nie ganz verkehrt sein kann.