Anthroposophie und Aberglaube

Michael Eggert:

Die Sektierer, Verschwörungstheoretiker und Schwafler innerhalb der Anthroposophischen Szene, die sich in allen möglichen Internet- Foren, Wegwerf- Blättchen, Pamphleten und Zeitschriften zur Zeit austoben, um ihren Kult gegen Christian Clements textkritische Betrachtungen von Rudolf Steiners Schriften zu verteidigen, haben eine lange Geschichte. Steiners bildhaftes Spätwerk, seine emotionalen, anti- amerikanischen Auslassungen im Umfeld des Ersten Weltkrieges, seine verschwörungstheoretischen Auslassungen insbesondere gegen Freimaurer und Jesuiten, haben den Spekulanten tatsächlich Steilvorlagen geliefert, in denen seine meditativen, praktischen und kulturell- produktiven Impulse auch hundert Jahre später vielfach versinken. Stattdessen wird seit jeher dumpf gegen die Stimmung gemacht, die auf selbständige und wegweisende Art mit Steiners Texten arbeiten.

Vor 40 Jahren war eines der Ziele, das bekämpft, angefeindet und totgeschwiegen werden sollte, Georg Kühlewind. Dem Verlag Freies Geistesleben ist es zu verdanken, dass dieser Autor zumindest publizieren, aber auch lehren konnte. Bereits in seiner ersten, wegweisenden Arbeit - „Bewusstseinsstufen. Meditationen über die Grenzen der Seele“ (1976) schrieb Kühlewind dazu folgendes (S. 36):

Durch das Erleben des Ich gelangen wir zum ersten geistigen Erlebnis des modernen Menschen. Ohne dieses kann man auf die Frage, was ist Geist, schwerlich oder gar nicht antworten. Denn wovon wir keine Erfahrung haben, stellen wir uns nach dem Muster derjenigen Erfahrung vor, welche wir besitzen. Deshalb wird das bildlich Gesagte, das Gleichnishafte im Bericht des Geistesforschers oft missverstanden. Solange man Geist, Seelisches, Ätherisches nur mit einem Hauch von feiner Substanzialität, Raumhaftigkeit, Zeithaftigkeit verbunden sich vorstellt, ist man fern vom Verstehen ihres wahren Wesens.“

Kühlewind sprach damit („Bericht des Geistesforschers“) natürlich die Arbeiten Rudolf Steiners an, der durch die wortwörtliche Auffassung der Sektierer auf Gröbste „missverstanden“ werde. Was dabei entsteht, ist der „Ungeist“ eines Kultes- das Gegenteil dessen, als was Anthroposophie aufgefasst werden sollte: „Wir können dem Geist nicht gegenüber stehen: er wird sogleich Ungeist. Er ist nicht außer uns; wäre er das, so wäre er Ungeist.“ (S. 37) Damit meint Kühlewind vor allem den Dualismus, mit dem heute mehr denn je der späte Steiner aufgefasst wird: Als eine jenseitige Geistwelt voller Engel und Gnome, die an sich und als solche bestehe und sich nur durch „höhere Wahrnehmung“ im Sinne einer Offenbarung erschließe. Geisteswissenschaft sollte „reine Aktivität“ sein, sonst verkomme sie zur „Lehre“ und „Doktrin“. Ein Anthroposoph müsse „von seinem noch so dialektischen Denken zum geistigen Erleben fortschreiten, sonst bleibe alles nur Wisserei, Dogma oder Glaube, der sich aber als solcher nicht erkennt und deshalb Unglaube ist: Aberglaube. Der Mensch ist kein Zuschauer im Erkennen des Geistes; er allein kann seine eigene Aktivität als Geist ent- decken. Dann kann er in dieser Aktivität die objektive Geistigkeit der Welt erleben. Die Schriften der Geistesforscher sind heute noch bei größter Publizität Geheimschriften: man muss den Schlüssel zu ihnen besitzen.“ (S. 37)

Heute sind alle Vorträge Rudolf Steiners, seine Werke, Bemerkungen, tradierten und nicht selten verfälschten oder aus dem Zusammenhang gerissenen Privatgespräche im Internet verfügbar. Eine riesige globalisierte Gemeinde spekuliert und fabuliert in Internet- Foren, schreibt Romane und Pamphlete und hetzt gegen jeden, der sich bemüht, seriös und eigenständig mit Steiner umzugehen- selbst und insbesondere dann, wenn es um allgemein anerkannte Arbeiten oder um die Repräsentanten, Zeitschriften und Vorstandsmitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft geht. Der Missbrauch geht immer wieder bis zu extremen politischen Positionierungen, persönlichen Unterstellungen und perfiden Verschwörungstheorien. Seit Kühlewind - dem dies ebenfalls widerfuhr- hat sich wenig geändert; es hat sich durch die neue mediale Landschaft lediglich potenziert.