Der anthroposophische Spießbürger in der Revolte

Natürlich wollen auch Spießer ernst genommen werden. Sie haben zwar keine Botschaft, aber immerhin Ängste, so weit das Auge reicht, und die wollen erst einmal artikuliert werden. Bequemer für den Spießer ist aber, wenn es Menschen gibt, die sich vor ihm auf eine Bühne stellen, die Formulierungen an Stelle des besorgten Bürgers vorweg nehmen und mit allerlei Ressentiments würzen, Protestschilder drucken lassen und Megafone organisieren.

Der Bürger mag es nicht, dass seine Populisten veralbert werden, denn er nimmt ja sein Recht auf Meinungsfreiheit wahr und fühlt sich dabei nicht nur im Recht, sondern in einer Masse, die ihn durch gemeinsame Bewegung, Sprechchöre, gemeinsames Brüllen und Pfeifen verschmelzen lässt in einem großen, gemeinsamen Unmut. Der Spießer hat auch Gefühle. Auf ihn hat ja nie jemand gehört. Die da oben, drüben, die EU, die Amerikaner, die Syrer, alle machen, was sie wollen. Warum soll der Spießer das nicht auch mal machen? Der Spießer ist in der Revolte. Er will gehört werden.

Der anthroposophische Spießer ist ein besonderer Fall. Sein geistiges Ruhekissen ist von höherer Stelle sanktioniert. Rudolf Steiner hat ihn zum Wächter der Zeit bestimmt, zum Repräsentanten der geistigen Welt auf Erden. Das ist zumindest seine Selbstsicht, und es hebt ihn ab von seinen Mit- Demonstranten, die zwar gegen die „Lügenpresse“ anschreien, aber nicht von einer höheren Warte aus. Aus diesem Grund verabscheut der besorgte Anthroposoph Gewalt und direkte Auseinandersetzungen. Er mag Populisten wie Daniele Ganser, die aus den immer gleichen Textbausteinen immer dieselben gedanklichen Gebilde konstruieren, aber eben doch keine Konsequenzen ziehen. Ganser kommt zum Thema 9/11 immer auf das dritte Gebäude des WTC, dessen Einsturz nicht berichtet worden sei, vermutet eine Sprengung- und lässt es dann dabei. Der besorgte Anthroposoph, aus Gründen sowieso in anti- europäischer und anti- amerikanischer Haltung, gegen „Apparate“, Chlorhühnchen, Zeitkultur und kritische Diskurse, kann sich seinen Teil ja denken. Wer das schon kritisiert, lässt - finden die Wut-, und besorgten Bürger, Toleranz vermissen.

Wer- wie Henning Kullak-Ublick- in offenen Briefen, Dokumenten oder internen Diskussionen - vor Populisten, Faschisten, „Reichsbürgern“ und anderen revoltierenden Spießern warnt, hat von da an ein schweres Leben. Kullak- Ublick schreibt in seiner neuen Stellungnahme „Antwort auf den offenen Brief von Heinz Mosmann – und an viele andere“ „Ich habe mich in meiner Antwort bemüht, aus der Vielzahl von Zuschriften, die ich bekommen habe, einige wesentliche Aspekte herauszuziehen. Trotzdem möchte ich nicht verschweigen, dass eine für mich bestürzend große Zahl von Zuschriften auf einem Niveau geschrieben wurden, das meine Besorgnis eher noch hat steigen lassen. Ich weiß jetzt nicht nur, dass ich der „Teufel aus dem Dreikönigsspiel“ bin, dazu „vollkommen Ich-los“ und eigentlich gar nicht Ken Jebsen gemeint habe, sondern in Wirklichkeit Rudolf Steiner verraten wollte. Über die persönliche Betroffenheit hinaus machen mich aber vor allem die Zuschriften nachdenklich, die jede diskursive Debatte hinter sich zurückgelassen haben. Die Heftigkeit, mit der hier „zurückgeschossen“ wurde, hatte nicht selten sektiererische Züge.

Worum es geht? Kullak-Ublick hatte es u.a. gewagt, Ken Jepsen als „Verschwörungstheoretiker“ zu bezeichnen, was, mit der in der Szene gebetsmühlenartig einsetzenden Argumentation, eine Diffamierung sei: „Für mich war es die zusammenfassende Beschreibung von Urteilsmustern, die hinter den öffentlich zugänglichen Informationsquellen und den öffentlichen Handlungsweisen von Politikern prinzipiell verborgene, von langer Hand planende, strategisch manipulative und der öffentlichen Kontrolle entzogene Kräfte am Werk sehen. Inzwischen habe ich gelernt, dass dieses Wort fast ausschließlich als diskriminierender Kampfbegriff verstanden (und oft auch verwendet) wird, was eine diskursive Auseinandersetzung über die hier gemeinten Denkmuster fast unmöglich macht. Aus diesem Grund habe ich mich bei Ken Jebsen für die Verwendung dieses Ausdrucks entschuldigt - ohne dabei allerdings meine damit verbundenen kritischen Fragestellungen zurückzunehmen.“
Ähnliches gilt für die Identifikation solcher Populisten mit den rechten, fremdenfeindlichen und NPD- nahen Organisationen, in deren Zusammenhang sie auftreten. Kullak-Ublick kommt in Bezug auf Jebsen auf die nicht unkritische, aber versöhnliche Formulierung „Ich halte Jebsen nicht für einen Demagogen, wohl aber für getrieben von einer Mission, die für einen kritischen Diskurs zwar interessant ist, diesen aber auf keinen Fall ersetzen kann.“

Die ganze Stellungnahme ist eine Reaktion auf einen offenen Brief des Waldorflehrers Heinz Mosmann, dessen Stellungnahme ebenfalls beim Institut für soziale Dreigliederung veröffentlicht worden ist.