Guru Steiner & das Kuckucksheim für Adepten

Muss man glauben? Darf man als Anthroposoph das eigene Anthroposophentum hinterfragen? Darf man einem Eingeweihten gar widersprechen, oder Äußerungen von ihm infrage stellen? Offensichtlich nein, denn zumindest im Absolutismus eines Holger Niederhausen rückt man bei solchen Zweifeln automatisch ins Lager der „Gegner“: „Michael Eggert ist jetzt endgültig unter die Steiner-Gegner gegangen. (..) Grobstichig und herabwürdigend ist es auch, einen Menschen wie Rudolf Steiner immer und immer wieder auch die wenigen Zitate zu reduzieren und festzunageln, die einem nicht behagen – und die man dann dazu missbraucht, sich haushoch über einen Eingeweihten hinauszuschwingen, dem man in Wirklichkeit nicht einmal das Wasser reichen kann. Ein Eggert wird dies in diesem Leben nicht mehr erkennen, dafür ist er dem Hochmut und einer ganz bestimmten vulgären Art, zu denken, zu sehr verfallen.“ Quelle Holger Niederhausen

Mir liegt es trotz des Vulgären in mir fern, mich „haushoch über einen Eingeweihten“ oder sonst wen „hinauszuschwingen“. Die Frage nach dem Eingeweihtentum stellt sich mir trotzdem- aus der Dynamik des Denkens heraus, nicht aus einer eingebildeten Superiorität. Der unerschütterliche Anspruch des Eingeweihtseins- ist man das im Falle eines Falles permanent, rund um die Uhr? Ich stelle mir das in Beziehungen schwierig vor, wenn einer immer und in universeller Weise und unbedingt recht hat. Und auch Herr Niederhausen hat natürlich so weit recht, dass sich Rudolf Steiner in der letzten Zeit seines Lebens diese Rolle, diesen Status selbst zueigen gemacht hat. Er hat 1924 - Monate vor seinem Tod- während seiner Karmavortrags- Tournee z.B. in Prag und Paris von sich selbst gesprochen als Vertreter für „die Eingeweihten- Wissenschaft, welche „wirklich die inneren Zusammenhänge bloßlegen“ (R. St., Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge V, S. 24 in Prag) kann. Entsprechend spricht Steiner auch, bevor er die Beurteilung einiger zeitgenössischer Persönlichkeiten im Licht ihrer vorherigen Inkarnationen vollzieht, von dem „Eingeweihte(n), vor dem die geistige Welt offen liegt“ (dito) Dabei attackiert er immerhin den damals amtierenden amerikanischen Präsidenten, und zwar in dessen angeblicher früherer Inkarnation. Steiner hat damit selbst die bis heute praktizierte karmische Denunziation begründet.

1924 war auch das Jahr mit Ita Wegman- das Jahr, in dem er offensichtlich so etwas wie romantische Gefühle hatte. Aber hat Steiner nicht gesehen, in welch unmögliche Lage er Wegman brachte? Nach Steiners Tod sah sich Wegman genötigt, sich wegen der Intimität zu dem Verstorbenen zu rechtfertigen- hier in einem Brief an Albert Steffen* (Arlesheim, 21. VIII. 25): "Ich selber habe nichts getan dazu, um mich beim Doktor wegen esoterischer Sachen vorzudrängen“ (Van Emmichoven, S.59).

Steiner hatte, so schreibt sie, sie gedrängt, ein „Gelöbnis der Treue an die Michaelschule“ vor ihm abzulegen, hatte sie „manches Esoterische gelehrt“, ja sogar „den letzten Nachmittag vor seinem Tod meditierte und betete er mit mir. Christian Rosenkreuz spielt in diesen Meditationen eine große Rolle." Schließlich überreichte Steiner auf dem Totenbett ein „kleines Kreuz mit kleinen in Rosen gefassten Rubinen“, das er bislang selbst getragen hatte, „nachdem wir vorher eine Kulthandlung verrichteten.“ (S. 59). In seinen schwärmerischen Briefen an Wegman hatte Steiner das gemeinsame Karma betrachtet, ihr Kosenamen aus früheren Leben zugedacht, sie damit aber auch durch das so vorgegebene karmische Bild in eine seltsame Lage gebracht. Die Autorität, in der Steiner vor der jungen Ärztin stand; ebenso befremdend wie die Vorstellung des "eingeweihten" Mannes, der mit den Mitteln des Eingeweihten warb. Gegen Karma- Beziehungen zu einem Meister, der einen dann Treue an die Michaelsschule schwören lässt, kann man sich schlecht wehren.

Was hat es mit ihr gemacht? Sie war ja nun am nächsten dran am Meister- sie musste wissen, was sie mit der von ihm zugedachten Rolle nach seinem Tod unternehmen wollte. Sie war zudem eine willensstarke und kämpferische selbständige Frau. Dennoch hat sie den Kopf in die Schlinge gesteckt, denn sie hat die Zuschreibungen Steiners für sich übernommen und sah sich - da der Doktor ihr wieder und wieder gesagt habe, dass „die Michaelschule von der geistigen Welt eingesetzt war und keine menschliche Institution (kursiv geschrieben, ME) war“ (dito)- als legitime Erbin Steiners in Bezug auf die „Führung“ (dito) der esoterischen Abteilung der Hochschule für Geisteswissenschaft. Mit diesem Auftrag des sterbenden Meisters forderte sie allerdings zugleich Machtkämpfe um das Erbe Steiners heraus, die die Gesellschaft für Jahrzehnte gelähmt haben. Die Pharisäer, Verwalter des Wortes des Eingeweihten, haben Ita Wegmans Ambitionen und Mission, die Rudolf Steiner unglücklicherweise als ihr Meister in ihr angeregt hatte, nie anerkannt. Wegman hatte sich in eine unmögliche Lage gegenüber Steiners Ehefrau und seinem trübsinnigen, aber machtbewussten Insider- Schriftsteller Albert Steffen gebracht- eine unmögliche Lage mit dem Sprengstoff, den Steiner selbst in sie hinein projiziert hatte.

Der Eingeweihte und das Eifersuchtsdrama um ihn herum ziehen ihre Spur durch die anthroposophische Szene bis heute. Worte des Eingeweihten werden ausgegraben, tradiert, neu präsentiert. Hier ein bisschen Kaspar Hauser, dort ein wenig Atlantis, aber meist diktiert von der sensationellen Bedeutsamkeit, die einige esoterische Worte Steiners ausgelöst haben. So mancher ist da auf einer Mission, deren Eckdaten, da vom Meister vorgegeben, ja fest stehen. Man füllt spekulativ auf oder spinnt fort, was man bei Steiner meint gefunden zu haben- meist auf einer selbst zugeschriebenen Mission. Der Fantastik sind keine Grenzen gesetzt, ganz gleichgültig, was Fakten sagen mögen. Das Selbstkonzept, sich im Fahrwasser eines verstorbenen Eingeweihten auch nur die geringste Bedeutung oder Mission zuzuschreiben, sich abzugrenzen gegenüber Zeitgenossen oder in gefühlter Überlegenheit zu sonnen, ist eben das klassische Ego- Konstrukt. Diese Art von Emphasen regen eine Art von Identitäts - Findung - in - den - Wolken an, ein Kuckucksheim für Adepten, der Wolkendonner eines Kultes.

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*Van Emmichoven, Wer war Ita Wegman, 1924 bis 1943, Kämpfe und Konflikte. Band 3