Einfach oder gar nicht- der Nobelpreisträger Saul Bellow als Anthroposoph

„Einfach oder gar nicht“ sei seine Maxime, schrieb Saul Bellow (1915-2005) als junger Mann in seinen kürzlich erschienenen Briefen*- aber er hielt sich nie daran, da er glücklicherweise Maximen im richtigen Augenblick zu vergessen pflegte. Gut so. Denn dieser Literatur- Nobelpreisträger hat denkbar komplexe Roman- Figuren kreiert, wobei sein persönliches Leben an chaotischen Verwicklungen, Jetset- Dasein, immer neuen Ehen, aber auch Unterhaltszahlungen und juristischen Auseinandersetzungen ebenfalls reich gesegnet war. Seit dem überwältigenden Erfolg von Die Abenteuer des Augie March war Bellow ein literarischer Star, ein Pop- Star, der Erfolg in jeder Hinsicht genoß.

Nicht nur das. Bellow war auch der festen Ansicht, er wäre, hätte er diese pochenden, witzigen, geistig sprühenden Romane nicht schreiben können, zum Verbrecher geworden: „I’m glad you observed, as no one else has, Augie’s bent for the illicit. I have often felt that the effort to lead a normal, respectable American life would make an outlaw of me.“ Das normale, amerikanisch- bürgerliche Leben, seine jähen, unkalkulierbaren Wendungen und geradezu sarkastischen Verstrickungen erscheinen wie ein Grundmotiv der Probleme von Bellows Roman- Figuren. Bellow hat sich formal von Anfang an dazu entschlossen, der künstlerischen Gestaltung eine treibende, pulsierende Kraft entgegen zu setzen- eine Freude an der Erzählung, an der Entfaltung von Geschichten: „A novel, like a letter, should be loose, cover much ground, run swiftly, take risk of mortality and decay. I backed away from Flaubert, in the direction of Walter Scott, Balzac and Dickens.

1959 traf Bellow auch Marilyn Monroe - wie er eine Rudolf- Steiner- Leserin-, von der er schrieb, dass sie sich nicht wie ein TV- Star, sondern wie eine „Philosophin“ gegeben habe: „Last night I had dinner with Marilyn [Monroe] and her friends at the Pump Room. Today the news sleuths are pumping me. Marilyn seemed genuinely glad to see a familiar face. I have yet to see anything in Marilyn that isn’t genuine. Surrounded by thousands she conducts herself like a philosopher.

Wieder einmal scheitert eine von Bellows Ehen- in denkbar schlechten, unversöhnlichen Umständen, wovon auch bis heute „Enthüllungsbücher“ z.B. von einem seiner Söhne leben. Das Skandalöse an Bellow war eine Konsequenz seiner Tätigkeit: Das Schreiben stand stets an erster Stelle. Freunde und Familie fanden sich in Büchern (unvorteilhaft) wieder, aber Bellow lebte auch das Schreiben aus, indem er sich monatelang nach Europa zurück zog- oder intensiv Liebesbeziehungen und den Zügen des damaligen 60er Jahre- Jet- Set nachpilgerte: „March 4, 1960 Tel Aviv (..) I’ve had too much of sights and flights, and girls.“ In seine Reisepläne musste Bellow ab und zu einen Zwischenstop für eine Scheidung einplanen: „I’m away again tomorrow. Paris, London and on the 22nd NYC. Two days to see Greg and I go to Washington and Chicago and Mpls. There I expect to stay a month (six weeks!), get divorced, kiss Adam, and towards the end of May join you in Tivoli.“ Man möchte sagen, das eigentliche Motto von Bellows Eskapaden war doch stets: „All my ladies seem furious.“

Tatsächlich darf man an diesen Dramen („love you, I always will. You are one of the best—probably the best woman I will ever know. I respect you, I wish you every good, but I am trying to save my own sanity just now—probably my very life. I feel it threatened. We must stop.“) quer durch diese Briefe eines Lebens immer wieder teilhaben. Auch an der Möglichkeit, die sich Bellow bot, als er den anthroposophischen Autor Owen Barfield anschrieb. Bellow freute sich, mit jemandem über die Dinge sprechen zu können, die „wirklich bedeutsam“ sind - darunter interessierte er sich für das Konzept des Bösen in der Anthroposophie, aber auch für „Gabriel and Michael and their antagonists. I’m afraid I don’t understand the account you give of the powers of darkness.“

Owen Barfields - „Owen Barfield (1898-1997), barrister, man of letters, disciple of Rudolf Steiner and expounder of Anthroposophy, Steiner’s teaching, published many books“- Lehrmethoden waren von der typisch anthroposophischen Art- Barfield (dessen Briefe hier nicht wiedergegeben sind) besprach die „Fortschritte“ Bellows in dessen Übungen. Umgekehrt war Barfield nicht dazu in der Lage, Bellows eigene Leistungen zu würdigen. Im Laufe der jahrelangen Briefwechsel beklagt sich Bellow bitter darüber, dass Barfield Bellows weltberühmte Romane nicht im geringsten schätzte, sondern sogar moralisch verurteilte.

Für Bellow selbst war die Tatsache, selbst an sich zu arbeiten, ein biografischer Einschnitt; er arbeitete an den eigentlichen Chakren- Übungen Steiners (Ich bin- Es denkt)- also konkret an der Ausbildung „geistiger Organe“. Tatsächlich aber wurde das Ausmaß seines eigenen inneren und äußeren Chaos durch die Übungen für Bellow selbst sichtbar und daher besser erkennbar: „It’s not a case of out of sight, out of mind. I think often of you and compose quite a few mental letters. But I have no progress to report; much confusion, rather. I mustn’t be altogether negative; there are trace-elements of clarity. I continue to read Steiner and to perform certain exercises. I am particularly faithful to the I Am, It Thinks meditation in the Guidance book you so kindly gave me. From this I get a certain daily stability. I don’t know what causes so much confusion in me. Perhaps I have too many things going on at once.

Leider hat sich über Jahre dieses Muster - Entschuldigungen und Suche nach Gründen dafür, dass Bellow die Übungen nicht brav gemacht hat- als Grundmotiv in die Briefe zwischen Lehrer und Schüler eingeschlichen. „No progress to report“ ist eine Wasserstandsmeldung, die allen übenden Anthroposophen nur zu bekannt sein dürfte. Was ihnen meist fehlen dürfte, ist Bellows Selbstironie, die ständige Brechung des Bedeutsamen, die natürlich auch vor „spirituellen Angelegenheiten“ nicht Halt machte: „The ultimate absurdity is that it is the spiritual matters, which alone deserve our seriousness, that are held to be absurd. Perhaps it was wrong of me to put this longing for spiritual fruit in a comic setting.“ Diese Art von Humor war dem Lehrer Barfield vollständig fremd.

Auf der anderen Seite machte Bellow gegenüber Steiner eine Entdeckung, die auch typisch sein mag: Steiners elaboriert bis exzentrisch wirkenden Einzelaussagen werden im intensivierten Studium immer vertrauter- bis hin zu der spezifischen Erfahrung, man finde in Steiner das wieder, womit man immer schon gelebt, für das man aber noch keine Worte gefunden hatte: „It is all too bewildering. Steiner makes matters sometimes easier, sometimes much harder. This is not because of the new perspective he gives me; in some ways I am drawn to him because he confirms that a perspective, the rudiments of which I always had, contained the truth.“ Man kann vielleicht behaupten, dass diese Erfahrung eine Verbindung zwischen Schüler und Steiner erst herstellt- etwas, was der durch Steiner ausgelöste Perspektivwechsel allein nicht bewirken kann. Die „Rudimente“ von Wahrheit, die zu dem gehören, was einen selbst im Innersten trägt und zusammen hält, bei Steiner in aller Fülle ausgebreitet zu finden, eröffnet eine andere Perspektive, die nicht nur intellektueller Natur sein kann; hier weiß man, dass eine Beziehung entsteht, ein Weg, eine Fragehaltung.
Natürlich war Bellow kein Esel. Natürlich sind seine „Entschuldigungen“ gegenüber Barfield - etwa, wenn er schreibt, er habe ein halbes Jahr nicht geübt, da er in Israel gelebt, sich politisch engagiert und ein Buch über den Palästinenser- Konflikt geschrieben habe, stets mit einer Spur Ironie unterlegt.

Bis 1979 hat Saul Bellow gegenüber Barfield dann geschwiegen- gegenüber einem Mann, der weder die Bücher noch den Humor, geschweige denn die spezifische spirituelle Entwicklung seines Freundes wahrnahm noch schätzte, ja nicht einmal die ganze seelische Welt dieser Romane mitzuempfinden in der Lage war: „I continue to read your books and to think about you, and to go on reading Steiner and working at Anthroposophy. I wouldn’t like you to think that I am fickle and that I’ve dropped away. No, it’s not at all like that. I am however bound to tell you that I am troubled by your judgment of the books I’ve written. I don’t ask you to like what you obviously can’t help disliking, but I can’t easily accept your dismissal of so much investment of soul.“ Die innere Entwicklung des „Anthroposophen“ Bellow kann Barfield, wie Bellow erwähnt, nicht beurteilen: „..our or five years of reading Steiner have altered me considerably. Some kind of metamorphosis is going on, I think, and I am at a loss for words when I sit down to write to you.“ Vermutlich hat Barfield nicht einmal verstanden, warum Bellow erwähnt, dass Barfield ihn nicht beurteilen könnte: „You will think it absurd that I should make a judge of you.“

Aber Barfield war trotz aller Enttäuschung über ihn dennoch Bellows Einstieg in das Thema Anthroposophie. Er hat sich in seinen Briefen 1979 selbst als „Lehrling“ bezeichnet, während Barfield für ihn doch ein „respected veteran“ in Sachen Anthroposophie war. Die Beziehung charakterisiert Bellow nochmals klarsichtig in ihrer Einseitigkeit: „I was aware from our first meeting that I was far more alien to you than you were to me.“ Und in der Tat: Für Barfield ist Bellow ein vollkommener Fremder geblieben.


*Saul Bellow, Letters