„In Frankreich wäre er erschossen worden“- Saul Bellow über Ezra Pound

Ezra Pound 1945
Ich habe Saul Bellow mein erwachsenes Leben über gern und viel gelesen. Seine großen Romane und Erzählungen (in den späten Jahren schrieb er oft eine Art Mischung, funkelnde Kurz- Romane) sind ja viel übersetzt und daher vermutlich auch nicht schlecht verkauft worden. In den letzten Jahren sind eine Reihe seiner Romane in neuen Übersetzungen - in neuem Sprachkleid- wiederum aufgelegt worden. Zudem gilt Bellow zwei Generationen später immer noch als Vorbild für große Autoren.

Auch als Person hatte Bellow Charakter. 1956, kurz nach dem Erscheinen seines Erfolgsromans Die Abenteuer des Augie March, der schon ein Jahr später vom Time Magazin zu einem der hundert bedeutendsten Romane der Gegenwartsliteratur gekürt werden würde, legte sich Bellow, statt sich für die eigene Karriere einzusetzen, mit William Faulkner an, der bereits 1950 den Nobelpreis erhalten - und seither in den USA so großen literarischen Einfluss hatte, dass er damit exklusiven Zugang zum amerikanischen Präsidenten Roosevelt erhielt, der ihn nach allen Richtungen protegierte. Faulkner und Steinbeck hatten sich an die Spitze derer gesetzt, die sich für den amerikanischen Lyriker Ezra Pound aussprachen. Pound hatte als Faschist in Italien Propaganda (vor allem berüchtigte, antisemitische Rundfunkansprachen) für Mussolini betrieben, die einen leicht irren Touch hatten:

Pounds Rundfunkansprachen im Kriege klammerten die menschlichen Opfer - die kämpfende Truppe, die zerbombte und massakrierte Zivilbevölkerung, die verfolgten oder vergasten Minderheiten in den besetzten Ländern - total aus. Sie richteten sich großenteils an seine Freunde von ehedem, die geistige Elite Amerikas und Englands, sowie an einzelne Politiker - all das in einem Stil, der durchaus anti-kommunikativ war. Er bediente sich des nasalen Tonfalls des amerikanischen Mittelwestens, wechselte sprunghaft Themen und Rollen, zitierte aus Werken, die den Hörern unbekannt waren. Aus den Unterlagen, die das FBI in Italien gegen ihn sammelte, geht hervor, dass die militärische Abwehr in Italien vermutete, die Ansprachen Pounds enthielten Informationen in einem Geheimcode, und er sei in Wirklichkeit ein Doppelagent. Angesichts der Ratlosigkeit und Verunsicherung der italienischen Behörden durch Pounds Rundfunkstil wirkt die in der Hochverratsanklage vorgebrachte Anschuldigung, Pound habe dem Feind „Beistand und Zuspruch“ (aid and comfort) geleistet, einigermaßen erheiternd.“* "Erheiternd" in diesem Zusammenhang scheint mir, wie vieles andere am Artikel Eva Hesses, eine unangemessene Formulierung zu sein.

Dass die Deportation der norditalienischen Juden unter Mussolini wegen des Widerstands der Bevölkerung zeitweise zögerlich voranging, war eine der Sorgen des enthusiasmierten Faschisten Pound; den Aufruf zum Mord hat er sogar in seinen berühmten Cantos verewigt, wie Saul Bellow in seinem Brief an Faulkner bekräftigte. Kann man Pisaner Cantos, in denen zum Mord an Juden aufgerufen wird („about the „kikes“ leading the „goy“ to slaughter“**), beschönigen?  Pound selbst, Luxus- Faschist mit Hang zu Konfuzius, eilte kurz vor dem Ende zu Mussolini - trotz Aufforderung der US- Regierung, aus Italien in die USA zurück zu kehren- um diesem seine Gedichte zu überreichen: „Als die Nachricht von Mussolinis Befreiung und der Errichtung der „Republik von Salò“ kam, ging er über den Gardasee nach Mailand und von dort nach Rapallo zurück. Hier hatten die Deutschen die Seefront befestigt, so musste Pound mit seiner Frau zu Olga Rudge nach Sant' Ambrogio ziehen. Beflügelt von neuen Hoffnungen auf Mussolini, entfaltete er wieder eine rege Tätigkeit.
Er schrieb nun italienisch. Sieben Bücher und Pamphlete erschienen unter der Ägide des neuen faschistischen Kultusministeriums, einige Titel darunter kamen erst Jahre später in englischer Übersetzung heraus. Pound überschlug sich geradezu vor Eifer - er schrieb die beiden Cantos LXXII und LXXIII, die viele Jahrzehnte lang in den Original-Ausgaben der Cantos fehlten, auf italienisch und schickte sie an Mussolini.“*

Inzwischen wurde Pound steckbrieflich als Kriegsverbrecher gesucht, das FBI ermittelte gegen ihn. Der CIC, der im Fall Klaus Barbie im Nachkriegsdeutschland eine so merkwürdige Rolle gespielt hatte, setzte Pound fest: „Er wurde ins Hauptquartier des CIC nach Genua gebracht, wo er drei Wochen lang von zwei FBI-Agenten verhört wurde. Zu dieser Zeit war Pound noch erfüllt von seiner eigenen Wichtigkeit und verlangte, Truman und Stalin zu sprechen, da er ihnen wichtige Ratschläge zu geben hätte. Später im Untersuchungsgefängnis in Washington bat er um ein georgisches Lexikon, um sich mit Stalin verständigen zu können. Er unterschrieb die Verhör-Protokolle und wurde am 24. Mai in das Militärstraflager von Metato bei Pisa gebracht“*, wo er bis zur Abschiebung in die USA im November 1945 verblieb. Auch bei Ezra Pound waren im Lager, in dem er weiter an den Cantos schrieb, Änderungen in seiner Haltung bemerkbar: „Seine frühere Verhärtung gegen die Mitmenschen, seine programmatische Absage an das Mitleid (Canto XXX), macht ihm jetzt, da er selber so sehr auf die Menschlichkeit angewiesen ist, schwer zu schaffen.“* Seine wahnhafte Selbstsicht führte dazu, dass er in eine Anstalt für geistesgestörte Kriminelle eingewiesen wurde: „Vor Gericht erschien er als psychisches Wrack, und sein Anwalt vertrat die Meinung, dass eine weitere Inhaftierung das Ende seiner „Normalität“ bedeuten könne und dass er sofort in ärztliche und psychiatrische Behandlung gehöre. Auch die daraufhin vom Gericht bestellten psychiatrischen Gutachten lauteten übereinstimmend auf Geistesgestörtheit. Da Pound offensichtlich zu diesem Zeitpunkt nicht imstande war, der Gerichtsverhandlung zu folgen, wurde er am 14. Dezember 1945 in die staatliche Anstalt für geistesgestörte Kriminelle, St. Elizabeths Hospital for the Criminally Insane, eingewiesen. Da er nicht verurteilt worden war, gab es für seine Haft auch keine Befristung. Im Endeffekt wurden fast dreizehn Jahre daraus.

In den 50er Jahren drehte sich der Wind; die öffentliche Meinung empfand die Isolierung Pounds als ungerecht: „Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Dag Hammarskjöld, schlug Ezra Pound mehrmals für den Nobelpreis vor. Ernest Hemingway sagte 1954 anlässlich der Verleihung des Nobelpreises an ihn: „Ich glaube, dies wäre ein gutes Jahr für die Freilassung von Dichtern.“ Ein weiterer Nobelpreisträger, Eugenio Montale, setzte mit einer Anzahl italienischer Geistesgrößen, darunter Ungaretti, Quasimodo, Papini seine Unterschrift unter eine Petition an die amerikanische Botschaft in Rom. Auch das vatikanische Radio und die Kommunistische Partei Italiens setzten sich für Pound ein.“

Auch Saul Bellow wurde -von Faulkner und Steinbeck im Namen der amerikanischen Literatur- gebeten, sich für die Freilassung Pounds einzusetzen. Für Bellow allerdings war der Antisemit Pound mit dem Irrenhaus gut bedient: „In France, Pound would have been shot.“ Pound am Leben zu lassen, sei gnädig gewesen. Ihn, den mörderischen Poeten, zu entlassen, sei schon deshalb dumm, weil die Initiative „People to People“, von Präsident Eisenhower ins Leben gerufen und von Faulkner vertreten, um „in den Augen der Welt“ durch Literatur „pro- amerikanische Werte“ zu vermitteln, stattdessen „Himmler and Mussolini and genocide“ relativieren würde. Wir lesen zwischen den Zeilen, dass sich Saul Bellow auch gegen diese propagandistische, angeblich humanistische Initiative zur Freilassung Pounds wandte, weil Pound, Mussolinis amerikanischer Propagandist, im Aufziehen des Kalten Krieges, nun wieder ein guter amerikanischer Literat wurde, da er doch Antikommunist war. Gegen das Vergessen kämpfte Bellow also schon - ohne Rücksicht auf die eigene literarische Karriere - 1956 an: „The whole world conspires to ignore what has happened, the giant wars, the colossal hatreds, the unimaginable murders, the destruction of the very image of man.“ 

Pound wurde trotzdem 1958 entlassen. Aber bereits vorher war er für eine heute vergessene Gruppe von Künstlern und Beatniks, die ihm seinen Antisemitismus „verziehen“ (eine denkwürdige Formulierung Eva Hesses), Anlaufadresse in seinem Irrenhaus geworden. Rassenfanatiker schlugen Pound als Präsidentschaftskandidat vor, als Vorläufer von Donald Trump: „Das Bemerkenswerteste an dem Besucherstrom aber war der Anteil der Jugendlichen, die bei Pound Antworten auf ihre Fragen suchten. Auf seine völlig unprätentiöse Weise war er für sie ansprechbar in einem Maße, das bei anderen literarischen Berühmtheiten ähnlichen Ranges - etwa Eliot - völlig unvorstellbar gewesen wäre. Pound konnte in seiner unkonventionellen Art tatsächlich ein großer Lehrer sein - für diejenigen, die ihr persönliches Verhältnis zu ihm kritisch zu relativieren wussten. Eine ganze Anzahl der jungen Leute, die damals durch seine Schule gingen, leben - nach einem Prozess der Abnabelung - noch heute von dem Grundstock der Anregungen, die sie damals erhielten, weiterentwickelten und für sich fruchtbar gemacht haben. Andererseits lockte sein vielgeschmähter Name auch manche Freaks an, mit denen die Vereinigten Staaten immer so reichlich gesegnet sind. Bei ihnen gefiel sich Pound in der neuen Rolle von Sokrates, dem Verderber der Jugend. Es war die Zeit der Beatniks, der Vorfrühling des Jugendprotestes, auch der Beginn der Drogenszene und der labilen jugendlichen Randgruppen. Ein paar dieser Typen, darunter vor allem Rassenfanatiker, solidarisierten sich mit Pounds öffentlichem Image und sorgten mit Parolen wie „Ez for Pres“ („Ezra zum Präsidenten“) für neuen Zunder in der Presse.“*

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*Quelle: http://www.bernhard-frank.de/evahesse/ezra_pound_werk_und_leben.htm#6 Die neue Ordnung. Rapallo 1925-1945
**Saul Bellow, Letters, Reno, 7.1.1956, „To William Faulkner“