Die Putinesque Ultramoderne oder: „Dialektisches Realitätsmanagement“

Während man konservative Anthroposophen bei Facebook liest, die - nicht gerade überraschend- posten, sie würden jetzt „das Schubladendenken“ satt sein, klatschen offene Faschisten aus ihren Freundeskreisen Beifall- darunter auch ehemalige Waldorflehrer. Diese Ankündigung eines intellektuellen Ausbruchs, worauf genau bezieht er sich? Doch auf eine Leerformel, die in rechten Kreisen gang und gäbe ist und offensichtlich einer Aufkündigung des Arguments schlechthin gleich kommt. Schluss mit den demokratischen Klischees, hinein in die Welt von AfD, Russia Today, putinesker politischer Winkelzügen aus dem Baukastensystem des Demagogen. Oder wie es die Putin- Persiflage @DarthPutinKGB bei Twitter ausdrückt: „If it looks like a duck, walks like a duck and quacks like a duck but denies it's a duck, it's a Russian duck.“

Die russische Ente, die ihr eigenes Ententum offiziell bestreitet, in der Polit- und Bewusstseins-Technologen nicht bestimmte politische Standpunkte unterwandern, sondern die politische Plausibilität schlechthin, stellt Individuen weltweit in den Dienst des Surrealen. Es ist kein russisches Privileg mehr, eine ganze Gesellschaft danach auszurichten, die Wahrheit nicht nur auszuhöhlen, sondern gänzlich zu unterminieren, um jede innere Orientierung des Individuums zu verhindern. Dann ist es auch möglich, dass Donald Trump beim russischen Propaganda- Sender Russia Today den Diktatoren preist, gegen Minderheiten hetzt und jede beliebige politische Lüge unters Volk mischen kann- und dabei seine Umfragewerte in den USA steigen. Inzwischen stört es auch bald die Hälfte der wählenden Bevölkerung nicht mehr, dass Trump vom Ku Klux Klan und durch seine Wahlkampfmanager über prorussische Oligarchen aus der Ukraine finanziell unterstützt wird; das abgeschaffte „Schubladendenken“, das allein auf Anti- Establishment- Instinkte setzt, ist durch kein Argument mehr erreichbar. Die Bühne ist frei für einen Weltspieler Putin, der einen ultramodernen hybriden Krieg führt, geleitet von grauen Kardinälen der genialen Cliquen im Kreml wie Surkow, Kurginjan und Dugin.

Letztere sind Repräsentanten einer sarkastischen Bewusstseinsseele, die, wie Surkow auf seinem Twitter- Kanal, selbstironisch die eigene Rolle inszenieren: „Der graue Kardinal. Wieder spinne ich Intrigen und schmiede Ränke.. Kurz, ich bin der geheime Lenker des Staates.“ (Ulrich Schmid, S. 109) Bezeichnend, dass die christliche Konnotation bei ihm immer wieder, ebenfalls sarkastisch, einfliesst. Technisch funktioniert die neue sowjetische Staatenlenkung in einer jeweils auszutarierenden Balance zwischen Freiräumen (vor allem im kulturellen Bereich) und staatlichem Terrorismus, zwischen weichen und harten Polittechnologien: „Gerade der Fall Chodorkowski zeigt, wie der Kreml ein Exempel statuieren kann, wenn er sich in seinem Führungsanspruch ernsthaft herausgefordert sieht“. (Schmid, 105). Auch das - einschließlich staatlich verordneten Morden und kriegerischen Handlungen- gehört zum „dialektischen Realitätsmanagement“ (Schmid, S. 102) dieser neuen Art von Polit- Profis, die über einen „scharfen analytischen Blick“, die geeigneten Mittel und Methoden zur Manipulation ganzer Staaten, aber auch über eine „moralisch absolut verwerfliche Haltung“ (Schmid, S. 101) verfügen. Surkow selbst hat seine Methoden ganz offen kommuniziert (Suverenitet, Moskva 2006 in Schmid S. 97):

Natürlich hat ein Mensch, der über Bildung verfügt, ein Mensch, der manchmal mehr, manchmal weniger an den demokratischen Entscheidungsprozessen teilnehmen kann, mehr Wahlfreiheit und ein stärkeres Bewusstsein der eigenen Würde. Deshalb werden auch die sozialen Techniken, die Technologie der Macht und die Technologie der gesellschaftlichen Selbstorganisation immer komplexer, und wenn man so will, weicher und raffinierter. Die Gesellschaft geht vom Zwang immer mehr zu Technologien des Überzeugend über, vom äußeren Druck zur Kooperation, von der Hierarchie zur horizontalen Vernetzung. Das heißt nicht, dass ein Element das andere ausschließt, dennoch verschiebt sich das Gleichgewicht in Richtung Überzeugungs- und Verhandlungskompetenz, mit dem Ziel, dass eine möglichst große Zahl von Menschen die eine oder andere Entscheidung bewusst und wenn möglich freiwillig akzeptiert. Man kann sich keine moderne Gesellschaft vorstellen, die aus gebildeten, klugen, entwickelten Menschen besteht, die man einfach herumkommandiert, ohne ihnen etwas zu erklären.“ Seine post- leninistischen Polittechniken hat Surkow bereits 2002 als „Heilige Schrift“ bezeichnet, in der das Credo für Parteimitglieder formuliert wird: „Wenn ich in die Macht investiere, dann will ich auch mehr Macht erhalten.

Dieses Credo hat Surkow durchaus selbst verfolgt, zunächst als Spionage- Mitarbeiter des Militärs, dann in den 80ern als Bodyguard des aufstrebenden, heute in Russland verfemten Oligarchen Chodorkowski, dann als Werbe- und Bankmanager in der wilden Zeit nach Gorbatschow und schließlich 1999, mit Putins Amtsantritt, zentral als stellvertretender Leiter der Präsidialadministration. Er hat väterlicherseits tschetschenische Wurzeln - eine hybride Vergangenheit wie Ausbildung in Metallurgie wie Dramaturgie. Als verborgener, gleichwohl umstrittener Chefideologe Putins, schaffte er - ein geistiger Alchemist - zugleich die Grundlagen für die hybride Kriegsführung und Machtentfaltung des heute herrschenden Systems.

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Lit.
Ulrich Schmid, Technologien der Seele. Vom Verfertigen der Wahrheit in der russischen Gegenwartskultur. edition Suhrkamp , Berlin 2016/2