Warum sitzt der Maitreya- Buddha auf einem Stuhl?

Die Frage des Titels, in einem internationalen Facebook - Forum gestellt, hat schon Substanz, auch wenn sie in der entsprechenden anthroposophischen Gruppe auch wieder zu gruppendynamisch spezifischen Spekulationen geführt hat- Fragen, mit denen sich das vergriffene Buch Thomas Meyers „Die Bodhisattvafrage“* ausschließlich beschäftigt hat. Der Maitreya, der „kommende“ Buddha, berührt sowohl in buddhistischen als auch anthroposophischen Zusammenhängen eine Art Vollendung und Heilserwartung. Rudolf Steiner hat sich vor allem in Abgrenzung zu theosophischer Literatur vielfältig zu Bodhisattvas geäußert. So sei Jeschua ben Pandira um 100 bC eine Art Vorbereiter des Christentums gewesen: „So war gewissermaßen Jesus, der Sohn des Pandira, Jeschua ben Pandira, dazu ausersehen, sich von dem Bodhisattva, der der Maitreya Buddha werden wird, und der hineinwirkte in die Essäer-Gemeinden, inspirieren zu lassen zu solchen Lehren, welche das Mysterium des Christus verständlich machen konnten.“ (GA 123.98)

Aber der Maitreya werde - so Steiners Prophezeiung - auch derjenige sein, der den auferstandenen und in geistig- lebendiger Form wirkenden Christus in der Zukunft repräsentieren werde: „Es werden Menschen dazu kommen, den Christus zu schauen in seiner Äthergestalt; sie werden die ätherische Erde schauen, aus der die Pflanzenwelt entsprossen ist. Derjenige, der diese Wissenschaft im höchsten Maße besitzen wird, wird der Maitreya-Buddha sein, der in ungefähr 3000 Jahren kommen wird. Gelingt das nicht, dann würde die Erde in Materialismus versinken und die Menschheit müßte von neuem anfangen, entweder – nach einer großen Katastrophe – auf der Erde selber oder auf einem nächsten Planeten.“ (GA 118.90f)

Es ist deutlich, dass die Figur des Maitreya für Steiner zentral in der esoterisch- anthroposophischen Apokalyptik steht. Es wird in seinen Äußerungen zu diesem Thema auch deutlich, in welchen großen zeitlichen Dimensionen und in welcher Bedeutung er Anthroposophie selbst sieht. Denn so, wie Steiner den „Ätherischen Christus“ Anfang des 20. Jahrhunderts verkündet hat, wird sich in seiner Sicht das Verständnis dafür erst mit dem Erscheinen des Maitreya - also in drei Jahrtausenden - durchsetzen: „So wird die Menschheit immer weiser werden und wird den Christus immer besser erkennen. Sie wird ihn aber erst dann ganz verstehen, wenn der letzte der Bodhisattvas seinen Dienst verrichtet und die Lehre gebracht haben wird, die notwendig ist, um uns zu befähigen, die tiefste Wesenheit des Erdendaseins, den Christus, zu erfassen." (GA 117.145) In diesem Sinne wirke Anthroposophie - in Korrespondenz zum Essäer Jeschua ben Pandira- als „Essäerlehre unserer Zeit“; sie bereite den Maitreya analog zum Wirken Jesu an der Zeitenwende vor: „Und wenn die Essäerlehre in unserer Zeit wieder erneuert werden soll, wenn wir leben wollen, nicht im Geiste einer Tradition von einem alten Bodhisattva, so müssen wir uns eben inspirieren lassen von dem Bodhisattva, der einst der Maitreya Buddha werden wird. Und dieser inspiriert uns so, daß er darauf aufmerksam macht: Die Zeit rückt heran, wo der Christus in neuer Form, in einem ätherischen Leibe, eine Gnade sein wird für diejenigen Menschen, welche durch eine neue Essäerweisheit die neuen Kräfte entwickeln in der Zeit, wo die Wiederkunft des Christus im ätherischen Gewande an die Menschen belebend herantreten wird.“ (GA 123.207f)

Allerdings fasst Steiner das Phänomen, das so okkult bis religiös- apokalyptisch daher kommt, auf eine Weise auf, die zumindest auch warnt vor den „Messiassen“ und der Vergötterung- also vor einer nur spiritualistischen Auffassung: „Gerade so, wie unterschätzt werden die geistigen Individualitäten, so daß sie nicht anerkannt werden, so ist auf der anderen Seite wieder unter den Menschen das lebhafteste Bedürfnis vorhanden zu vergöttern. Sehen Sie sich überall heute die Gemeinden an, die ihre besondere Messiasse haben.“ (GA 123.206) Der Maitreya werde dagegen - so Steiner- dazu fähig sein, unmittelbar so - in gewisser Weise magisch- auf Menschen zu wirken, dass er „imstande sein wird, durch das Wort selbst Gemütsbewegung und Moral in die Seelen zu übertragen.“ (GA 130.136)

Es geht beim Maitreya also nicht mehr nur um Lehre, geschweige denn um Selbst- Vollendung. Er wird in gelungenen klassisch- buddhistischen (vor allem japanischen und koreanischen) Darstellungen nicht im Lotos-Sitz und nicht im Zusammenhang mit der Kundalini- Schlange dargestellt, sondern geradezu grazil sitzend; gelassen, rational auf einem Schemel oder Stuhl- etwa auch in dieser koreanischen Darstellung. Auch wenn er mit rechtem Bein und seinen Armen einen perfekten Kreis - sonnenhaft- bildet, berührt er mit dem linken Bein doch entschlossen die Erde. Seine Haltung mit dem leicht geneigten Kopf erscheint lauschend, aber mit dynamisch nach vorn geneigtem Oberkörper. Symbolisch durch sein Gewand dargestellt, strömt sein Wirken trotz seines leichten Sitzes auf einem ganz normalen Hocker in den Untergrund. Er drückt in diesen Darstellungen, obwohl sie aus dem ersten Jahrtausend stammen, eine sehr moderne Bewusstseinshaltung aus. Der Maitreya scheint dem heutigen Menschen sehr viel näher zu stehen als die klassischen, oft schwerfällig mit dem Lotos verbundenen, mondenhaften Buddha- Figuren. Er hat in seiner grazilen Souveränität auch eine innere Beziehung zur aufrechten Gestalt des Schlangen- Bezwingers Michael. Der Maitreya ist sowohl hingegeben wie souverän, sowohl innerlich wie dynamisch, sowohl erleuchtet wie intellektuell.

Als ob das alles nicht genug wäre, werden im oben genannten Buch von Meyer allerlei Anekdoten von Bemerkungen Rudolf Steiner tradiert, die gewissen Anthroposophen nahe legten, anzunehmen, der Maitreya sei im 20.Jahrhundert als der katholische Anthroposoph Valentin Tomberg inkarniert gewesen. Wie bei Agatha Christi spekulierte man (Who done it?) über zeitliche Angaben Steiners wie „Rittelmeyer said: In August 1921, Dr Steiner said concerning Jeshu ben Pandira: If we live another fifteen years, we shall be able to experience something thereof. Jeshu ben Pandira was born at the beginning of the century.” (nach Walter J. Stein) Oder: „..concerning a supposed statement of Rudolf Steiner. To a question as to how things are with regard to the coming Bodhisattva, Rudolf Steiner is said to have answered: The Bodhisattva was born at the beginning of the century and is looking with interest at the development of the Anthroposophical Society.” (nach Adolf Arenson).

Eifrige Spekulierende sind sogar, wie der Stenograf Steiners (Walter Vegelahn) Meyer persönlich berichtet habe, an Rudolf Steiner heran getreten, um zu fragen, ob er vielleicht selbst der Maitreya sei, was dieser schroff verneinte: „The members were eager to know what Rudolf Steiner really meant as to who he is. They consulted with one another and sent a chosen representative, Günther Wagner, to ask Rudolf Steiner about this. And he received the answer: "I am not him." Following this, on the first evening in Berlin Rudolf Steiner summarized all that had taken place in the preceding months. And he also referred to the lectures in Bern. In so doing, he broke off his description and said with an undertone in his voice, "By the way, I would like to add in parentheses to all those who are ever ready to come up with incarnations in their fantasy, that I – in my individuality – have nothing to do with Jeshu ben Pandira.

Aber Meyer schürt die Spekulation nach dem Mysterium des Meisters des 20. Jahrhunderts zugleich auch, schon im Untertitel des Buchs und durch das etwas fiebrig behandelte ganze Thema. Vor allem Valentin Tomberg ist, obwohl er sich später doch eindeutig und umfassend von Anthroposophie losgesagt hat, nie das Gewicht solcher Zuschreibungen los beworden. In all dem Sensationellen, zu dem bis heute gewisse Autoren gerne ihr Quäntchen hinzufügen, das Rudolf Steiner durch die selbst erzeugte, aufgeladene Apokalyptik auch angeregt hat, ist die Beschäftigung mit dem Maitreya selbst etwas untergegangen. Im Internet behauptet auch ein selbst ernannter „Meister“ nach dem anderen, eben selbst derjenige zu sein. Die Stille und Eleganz, die subtile Intelligenz dessen, der durch das Wort selbst wirken wird, versinkt gegenüber diesem Lärm aber nur vordergründig. Die Schönheit des Maitreya bleibt davon vollkommen unberührt.

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*Ich habe die englische Fassung vorliegen: Thomas H. Meyer - Elisabeth Vreede, The Bodhisattva question - Krishnamurti, Rudolf Steiner, Annie Besagt, Valentin Tomberg, and the Mystery of the Twentieth - Century Master, Temple Lodge, London 1993