Karmische Krönung und vagabundierende Exil- Anthroposophen

Halt mich fest, kleine Karmagruppe!
Mit der Zweigvorsitzenden war ich - im Gegensatz zu ihrer einflussreichen Freundin, die öfter bei unseren langen Gesprächsrunden dabei saß - beinahe befreundet, und denke noch heute gern an sie. Sie hatte dieses weltläufige Liberale, das so typisch für Handelsstädte ist, an sich, und sprach mit einigen der anthroposophischen Exoten, Antagonisten, Quertreiber, Künstler. Letztlich war ihr Anliegen aber doch, Mitglieder zu werben oder zu halten, die auf der Drift, angewidert oder angeödet waren. Wenn das Vorhaben endgültig gescheitert war, erlosch auch ihr Interesse - Liberalismus hin oder her. Ihr Interesse blieb doch vollständig auf anthroposophische Themen bezogen, so wie ihre Freundschaft. Es ist wohl ein Effekt der anthroposophischen Doktrin, dass die Mitgliedschaft nicht nur karmisch - durch bisherige Leben- bedingt sei, sondern sich auch auf die Zukunft auswirke. Als Anthroposoph träfe man demnach in diesem Leben wie in folgenden immer wieder Anthroposophen. Dass das eine Selffulfilling Prophecy sein mag, wird sie sich nicht gedacht haben - „Ein wesentlicher Mechanismus ist, dass derjenige oder diejenigen, die an die Vorhersage glauben, sich so verhalten, dass sie sich erfüllt“- wie das bei vielen der anthroposophischen Dogmen der Fall ist oder zumindest sein könnte. Dass ihr Liberalismus und ihre Begleitung dieser vagabundierenden Rand- Anthroposophen letztlich daher von diesen Interessen geleitet waren, wurde dagegen von verschiedenen Seiten bemerkt und geäußert.

Ihre Freundin, die die esoterischen Kreise der Gesellschaft- was sich selbst für esoterisch hält- vertrat, sicherlich auch die der Ersten Klasse und des Vorstands, war dagegen als Person nicht zu fassen. Sie übte in diesen Treffen offensichtlich Steiners „Nebenübungen“, was sie so greifbar wie eine Raufaserwand machte- egal, um was es sich handelte: Man traf auf eine Sphinx. Vielleicht übte sie so sehr, positiv zu denken, dass sie zu einem Neutrum ohne menschliche Regung und Anteilnahme wurde- ein katastrophales Missverständnis der buddhistischen Tugenden. Einige Jahre nach unserem letzten Gespräch entdeckte ich auf ihrem Facebook- Account dann doch, was sie wirklich dachte. Es war der in diesen Kreisen übliche Kram wie Amerika- kritische Parolen, Selbsterfüllungsseminare, Aufforderungen, AfD zu wählen und pro- russische und antieuropäische Quellen wie „Gegen den Strom“. Das ganze meditative Getue war also nur ein Bluff, um ihren eigenen Dogmatismus, die Engstirnigkeit und Borniertheit zu kaschieren.

Ich stieß dann auch auf ein neues Brevier aus den „Mitteilungen aus der anthroposophischen Bewegung“, Nr. 131, Weihnachten 2016, aus der Schweiz, in dem es um „Verschiedene Stufen mit Rudolf Steiner und seinem Werk umzugehen“ geht, um eine ausdrücklich ohne Wertung (aber doch aus rein anthroposophischem Blickwinkel) vorgenommene Beurteilung der unterschiedlichen Arten, mit Steiners Werk umzugehen. Genau darum ging es auch in den Gesprächen mit der Zweigvorsitzenden und ihrer okkulten Freundin. Dann folgt, wie oft und verbreitet in Anthroposophistan, eine Liste: Erstens, zweitens, drittens.

Erstens gibt es die rein aus einem speziellen Interesse oder Berufsfeld an Anthroposophie Interessierten: „Man liest auch mit Interesse die entsprechenden Vortragsnachschriften von Rudolf Steiner. Ein Eintauchen in die geisteswissenschaftlichen Tiefen der Anthroposophie wird als zu schwierig empfunden; man behält sich dies für eine spätere Inkarnation auf. Sicherlich kann man es mit Fleiß in dem gewählten Bereich ein Stück weit bringen. Es fehlt jedoch oft ein geistiges Fundament. Und ohne dieses Fundament ist eine Befruchtung der eigenen Aktivitäten eine geringere.“ Man hebt sich das für eine spätere Inkarnation auf? Der nur Interessierte ist, aus anthroposophischer Sicht, also noch eine unreife Frucht, die vielleicht noch ein paar Mal sterben muss, um auf das Niveau der Autoren (Anina Bielser und Andreas Kühne) und anderen echten Anthroposophen zu kommen.

Zweitens die „Sympathisanten“, die nach „Gleichgesinnten“ suchen, aber noch nicht reif sind für eine Mitgliedschaft oder gar ein anthroposophisches Leben: „Eine intensive Arbeit am eigenen Standpunkt wird vermieden. Man ist stolz eher etwas lebensfremd zu sein.“ Die brauchen auch noch etwas karmische Reife.

Drittens der „Ernsthafte“: „Um ein anthroposophisches Fundament bemühen sich diejenigen, welche die Größe der Anthroposophie zu erfassen beginnen. Sie verinnerlichen durch Studium die von Rudolf Steiner gegebenen Inhalte und begeben sich auch auf den Schulungsweg. Sie begegnen entweder in ihrem Elternhaus oder durch „Zufall“ der Anthroposophie und haben das Gefühl, etwas durchaus Bekanntes anzutreffen. Kaum etwas ist ihnen fremd, sondern sie fühlen sich darin „zuhause“. Solche Persönlichkeiten erhalten mit der Zeit eine sichere Lebens-Grundlage und können die Vorgänge auf der Erde umfassender verstehen.“ Das sind also die echten Anthroposophen, die voll aus dem karmischen Strom schöpfen, keinen Ärger machen, schöpferisch sind, aber noch nicht voll wirksam: „Sie stehen meist nicht in der anthroposophischen Öffentlichkeit. Sie arbeiten im Stillen.“

Und nun, als karmische Krönung, die „Tätigen“, mit Anthroposophie als „Lebensgrundlage“, die Wirksamen und Repräsentativen.

Von hier ab nun geht es bergab, immer tiefer in die Dekadenz hinein. Zunächst kommen die „Kritiker“, „die meinen, man müsse Steiner kritisch oder mit leisem Zynismus bearbeiten“ und sich von wahrer Anthroposophie „angegriffen“ fühlen. Interessanterweise sehen die Autoren in dieser Schublade gerade eine Reihe ihrer eigenen „Repräsentanten von heutigen anthroposophischen Institutionen“, die offenbar zu intellektuell, selbstkritisch und selbständig erscheinen. Man sucht offenbar eine Art Kulturrevolution im maoistischen Sinne, um sich der eigenen Elite zu entledigen.

Am Ende der Liste der Verdammten aber steht natürlich „der Gegner“- diejenigen, die „Steiner lächerlich machen und hemmungslos Unsinn und Lügen behaupten. Hier kann man schon von Hass sprechen.“ Andererseits benötigt man als sektiererische Gruppierung natürlich immer ein Feindbild, um sich als Gruppe zu konstituieren und abzugrenzen. Die Gegner fühlten - so die Autoren- sich zwar von Anthroposophie angezogen, seien aber - „allerdings fehlt ihnen aus karmischen Zusammenhängen heraus die Möglichkeit, die Größe und das Zukunftsweisende der Anthroposophie zu erkennen. (z.B. H. Zander)“- karmisch quasi nicht nur unreif, Anthroposophie in ihrer Größe zu erkennen, sondern geradezu behindert. Der Steiner- Biograf Helmut Zander, der hier genannt wird, ist zum Beispiel katholisch. Die Feindmuster (Jesuit, Freimaurer oder Kommunist) stammen von Rudolf Steiner selbst, sind aber, wie die Praxis zeigt, beliebig erweiterbar, falls nötig.

Zwischen diesen Schubladen gäbe es, ergänzen die Autoren dann großzügig, Zwischenstufen, und letztlich seien doch alle irgendwie - karmisch- verbunden. Sie gehen also davon aus, dass sich die inner- anthroposophischen Querelen über mehrere Leben hinziehen, was keine erquickende Aussicht für mich darstellt. Noch schlimmer dran seien die, denen die hier so verstandene Anthroposophie völlig am Arsch vorbei geht: „Wer sich gar nicht für Anthroposophie und deren Inaugurator interessiert, wen diese Themen völlig kalt lassen, der gehört nicht zum Schicksalsumfeld der oben Genannten. Er kann sich neu dazu gesellen und in Zukunft vielleicht eine dieser Positionen beziehen. Neu hinzukommen kann jeder intelligente Mensch, denn er könnte Anthroposophie verstehen. Aber das genügt nicht, er braucht einen zusätzlichen Impuls, entweder aus der Vergangenheit oder durch sein jetziges, eventuell schweres Schicksal.“

Das klingt bedrohlich. Woher die Autoren das wohl beurteilen können? Offenbar nehmen sie den einen oder anderen Weltuntergang in Kauf, damit die verlorenen Seelen der Anthroposophie- Blinden einst auf ihr hohes karmisches Niveau werden kommen können? Falls überhaupt? Man muss den „Tätigen“ gratulieren, dass sie die Weitsicht haben, die Menschheit in gestaffelte Kartons karmischer Reife zu packen und sich selbst stets an der Spitze dieser Kette zu sehen- etwa auf gleicher Höhe wie jeder x- beliebige Boddhisattva. Und das ohne Mühe, nur mit aus Rudolf Steiners Vorträgen gebastelter pseudo- okkulter Selbstherrlichkeit und Karma- Versatz- Stücken. Ziehen wir den Hut, stehlen uns leise davon und denken uns unseren Teil wie etwa: wer solchen Dünkel pflegt, braucht wirklich keine Gegner mehr.