Der Jugendkreis

Tom Mellett hat in internationalen Foren und bei Facebook eine Diskussion über den 1923 von Ernst Lehrs und Wilhelm Rath begründeten Jugendkreis angestossen - mit intensiven Diskussionen von einiger Umsicht, Tiefe und Brisanz, vor allem bei den Anthropoppern. Auch wenn ich mich mit den politischen Positionierungen Jeremy Smiths nicht im geringsten anfreunden kann, ist die interne Diskussionskultur in diesem Blog immer wieder beeindruckend. Auch die aufgeführten Links und Verweise geben umfassend Einblick sowohl in interne esoterische Strukturen der Anthroposophischen Gesellschaft als auch in die damit verbundenen Vorteile und Risiken.

Denn bei dem Jugendkreis geht es um eine geheime, „okkulte“ Organisationsform- eine frei vor Ort organisierte meditative Vereinigung von Mitgliedern der Gesellschaft, über die nicht gesprochen und in die das einzelne Mitglied nach unbekannten Kriterien berufen wird. Im Gegensatz zur internen Klasse, in die mit ihren auch mantrischen Texten die „tätig sein wollenden“ Anthroposophen berufen werden - also die, die Anthroposophie in der Öffentlichkeit nach einer Mindestzahl von Jahren der einfachen Mitgliedschaft vertreten wollen, sind die Treffen des Jugendkreises nicht öffentlich bekannt - ebenso wenig, wer in diese Gruppe berufen wird oder ob sie am jeweiligen Ort überhaupt stattfinden. Viele Mitglieder, die möglicherweise Jahrzehnte lang im Zweig und bei anderen Veranstaltungen nebeneinander und miteinander gearbeitet haben, wissen nicht einmal von der Existenz dieser Gruppierung. In diesem Sinne handelt es sich tatsächlich um eine Gesellschaft- in- der- Gesellschaft, um eine reale Geheimgesellschaft.

Nun kann man dieses Thema - für Tom Mellett und andere ein Affront - skandalisieren oder auch ganz gelassen betrachten- nämlich als Möglichkeit zur spirituellen Vertiefung und Verankerung, einer Art Substanz- Suche ausgesuchter Mitglieder. Oder man skandalisiert das Thema und spricht, wie Tom Mellett, vom „Opus Dei“ der Anthroposophen. Das verletzte Anthroposophen- Ego derer, die in dieser Hinsicht übergangen worden sind, die nicht als würdig erachtet worden sind, mag sich da Bahn brechen: „In short, there is a secret and elitist cultic group within the Anthroposophical Society called The Kreis(German for Circle) which originally grew out of the Jugendkreis (Youth Circle) that Ernst Lehrs helped organize in 1923, but which has, over the decades, “metastasized” into a “kind of tumor” (…). I myself liken it to the elite secret group within the Roman Catholic Church called “Opus Dei.”“ (Tom Mellett)

Ein frustrierter Blog- Eintrag der Australierin Kelly Connor hatte den ursprünglichen Anstoss für die ganze Diskussion gegeben, die 2012 von einer „geheimen Enklave“ innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft schrieb: „Nobody in anthroposophy would join a secret, select group,‘ I declared, ‘and if invited to be part of such a group they would loudly denounce it.’ I was wrong. The group does exist and has members all over the world, including, I’m told, at least three members of the executive council at Dornach, as well as many representatives of national & regional councils, Waldorf teachers, doctors, etc.“

Das Insistieren von Connor hat dann doch viele der ihr bekannten Anthroposophen zum Sprechen gebracht - nach ihren Umfragen wissen 60% der aktiven Anthroposophen nichts von der Existenz des Jugendkreises- oder wenn, dann doch nur insoweit, als Rudolf Steiner zu seinen Lebzeiten esoterische Unterweisungen für die jüngeren Mitglieder gegeben hat, um Impulse für die bereits erstarrenden Strukturen der Gesellschaft zu initiieren. Dass er in diesem Zusammenhang von einer „Community“ sprach, die offenbar bis heute besteht, ist den Meisten entgangen: „It is however, very enlightening to discover that Rudolf Steiner exclusively refers to the youth group impulse as the founding of a ‘community’. That, in itself, should give pause for thought to those who claim Steiner sanctioned the existence of a secret circle.“ (Connor)

Inzwischen wird einerseits mehr über die meditativen Praktiken und Anforderungen des Jugendkreises bekannt. Andererseits kommt - wie in der Diskussion bei den Anthropoppern- gerade bei Mitgliedern anthroposophischer Gemeinschaften die Frage auf, ob Machtfragen und wichtige Entscheidungen für soziale Projekte nicht in geheimer Absprache getroffen worden sind- d.h. inwieweit eine solche Gesellschaft- in- der Gesellschaft nicht ein jahrzehntelang gepflegtes Instrument gewesen sein könnte, demokratische Entscheidungsprozesse zu unterlaufen.