Rudolf Steiners Kundalini- Reinigung oder: Der wahre Mediziner

Der wahre Mediziner
Alle paar Jahre wieder gehe ich gern auf die so lange exklusiv nur unter anthroposophischen Ärzten kursierende Wärme- Meditation Rudolf Steiners ein, die allerdings auch immer neue imaginative Aspekte in der Betrachtung hervor bringt. Die Geschichte der von Rudolf Steiner für Ärzte formulierten Meditation mit ihren spezifischen Vorübungen und rudimentären Übungsanleitungen hat Peter Selg ja - nachdem die Angelegenheit ohnehin publik geworden war- in einem seiner vielen Bücher heraus gegeben (1). Allerdings entschlüsselt sich das Mantram selbst aus den von Selg gesammelten Gesprächsnotizen nur dem tatsächlich meditativ praktizierenden Arzt und Leser; und nur dem, der die Erfahrung der Stille so weit verinnerlicht hat, dass sich ihm das Zusammenspiel der Chakren zumindest rudimentär erschließt.

Dazu - so eine von Selg wiedergegebenen Gesprächsnotizen Rudolf Steiners (S. 58) - müsse eine „Brücke“ gefunden worden sein „zum Moralischen, zum Liebevollen. Sehen Sie, wenn ich z.B. von dem spreche, was ich die Wärmeorganisation des Menschen nenne, so ist das ja für Sie zunächst eine Abstraktion.“ Denn- so interpretiere ich Steiner- auf der anthroposophischen Vokabelebene ist allein kein Weg zu finden zu den spezifischen Strömungen der wirklichen Herzkräfte, die sich ohnehin - und selbst bei regelmäßigem Praktizieren tiefer meditativer Versenkung mit „leerer“, inhaltlich freier Aufmerksamkeit- nicht ohne weiteres finden lassen. Diese strömenden Empfindungen aus der Herzmitte können nicht einfach gewollt werden, entspringen auch immer aufs Neue zu erfassenden Bildern und meditativen Situationen. Selbst wenn sie - stets neu, nie aus Routine, nie „technisch“- entdeckt werden sollten, ist es nur unter Umständen möglich, sie dadurch zu entfalten, dass das Ich ganz in ihnen aufgeht. Es sind Kräfte - so Rudolf Steiner in seinen Erläuterungen- die ursprünglich organisch gebunden sind und zu einem in der Meditation „Moralisch- Warmen“ werden, in dem der ganze Mensch aufgeht und in dem der ganze Mensch (auch im Sinne von: Ganz gewordener Mensch) ersteht: „Aber Sie müssen eben die Brücke finden, diese Wärmeorganisation so zu erleben, dass Sie aus dem Erleben der Wärmedifferenzierungen der einzelnen Organe herübergingen zum Moralisch- Warmen. Sie werden dazu kommen müssen, das, was man ein „warmes Herz“ nennt, so zu erleben, dass Sie dieses warme Herz bis ins Physische hinein fühlen werden.“(2)

Rudolf Steiners Ansatz in der Wärme- Meditation - und warum sie speziell für Ärzte und mit dem menschlichen Organismus arbeitende Menschen gedacht ist - erfordert die Arbeit an der schwingenden Korrespondenz „unterer“, organisch gebundener Kundalini- Kräfte mit dem entfalteten Herz- Chakra. Letzteres kann nur in seelischer Stille und nur nach erheblicher Festigung der meditativen Arbeit durch eine geistige Umorientierung und Festigung hindurch geschehen. Diese innere Wiedergeburt besteht im anthroposophischen Schulungsweg (und ähnlich in bestimmten buddhistischen Schulen) durch eine Entelechie- Erfahrung, die sich in einem vereinigten Kraftstrom als rein geistig bestehend erlebt. Das geschieht durch eine Vereinigung von Stirn-, Kehlkopf- und Herz- Chakra, durch die dafür ein innerer Raum geschaffen worden ist, der eine Art Kontinuität des nicht sinnlich gebundenen Selbstseins möglich macht. Insbesondere muss die Kraft des Kehlkopf- Chakras über längere Zeit nach und nach entfaltet worden sein. Aber auch die vereinigte energetische Kraft der drei oberen Zentren bedarf der Stabilisierung und Entfaltung. Das von Rudolf Steiner angesprochene Wärme- Zentrum mit seiner unbeschreiblichen Zartheit, ja Zärtlichkeit im energetischen Feld hat eine ganz eigene Qualität, die sich verströmt aus dem inneren Menschen heraus und eine Art Beseligung erlebbar macht- in mancher Hinsicht in einer Perspektive, wie sie in Patanjalis klassischem Yogasutra so beschrieben wird: „Die Erfahrung, nicht der Körper zu sein, wie sie bei Nahtod- und außerkörperlichen Erfahrungen gemacht wird, verändert unsere Perspektive völlig. (Weil das so ist, nennt Patanjali diese Erfahrung maha-videha: das »Große Sein ohne Körper« …) In Samadhi erkennen wir darüber hinaus, dass wir auch nicht Verstand und Gefühle (Citta) sind, ja überhaupt nichts von dem, was wir gemeinhin als »ich« bezeichnen, sondern Purusha, das Licht reinen Gewahrseins. (3)

In den strömenden inneren Raum kann unter diesen Voraussetzungen - aber keinesfalls willentlich - als das „Moralisch- Warme“ der ursprünglich organisch gebundene Kundalini- Strom einfliessen. Vermutlich könnte bei entsprechender Schulung umgekehrt eine Intuition der Vorgänge in den inneren Organen für den hellsichtigen Arzt möglich werden- in Bezug auf den vor ihm stehenden Patienten. Es gibt - nach Steiner- eben eine Korrespondenz zwischen „unserem Wärmeorganismus“ (und damit indirekt auch dem Luft-, Flüssigkeits- und mineralischen Organismus) und den „moralischen Idealen“, da die strukturellen Bildekräfte auch nach diesen Idealen gebildet sind. Wir sind an diesem Punkt an den Schnittstellen der „Quellen des Lebens“ (4).

Die Wärme- Meditation schließt an diese Schnittstelle an, nicht an anthroposophische Vokabeln oder Sentimentalität, wenn sie - ohne Vor- Übung und ohne Erläuterung - besagt „Ich fühle Licht in meiner Wärme/ Ich fühle tönend die Weltsubstanz in meiner Wärme/ Ich fühle in meinem Kopf sich regend das Weltenleben in meiner Wärme.

Nach der vorab „von oben“ erfolgten Sammlung, Fokussierung, Krafterfüllung- in- der- Stille, Raumschaffung in vereinter innerer Mitte kann -in den Erläuterungen Steiners zur Wärme- Meditation- in der ersten Zeile „diese Lichtempfindung“ entdeckt werden „in der Gegend, wo das physische Herz ist“ (5). In der zweiten Zeile entspringen die organisch gebundenen „unteren“ Energien („acht geben, dass die eigentümliche Ton- Empfindung vom Unterleib nach dem Kopfe, aber mit Ausbreitung im ganzen Körper geht“), die dem Kundalini entsprechen, und steigen energisch belebend auf in die meditative Bewusstseinsebene. In der dritten Zeile („acht geben, dass die eigentümliche Lebensempfindung vom Kopfe nach dem ganzen Körper sich verbreitet“), in der wieder eine Umkehr der energetischen Richtung vom Kopf in den Organismus angesprochen wird, ist vermutlich die tausendblättrige Lotosblume gemeint- die, von der Steiner meist nicht spricht, deren Energien in einem vollendeten Stadium vom Scheitel - der Zirbeldrüse- nach unten strömen. Im klassischen Yogasutra liegt - trotz der elementaren Unterschiede, die u.a. durch das Fehlen von Steiners erster, selbst gesteuerter Phase „abwärts“ bedingt sind, hier die wahre Erfüllung: „Wenn die Braut dann doch einst erwacht, strebt sie zur Krone des Kopfes, zu sahasrara chakra. Sahasrara heißt »tausend« und meint den tausendblätterigen Lotus, die Wohnstatt Shivas, den Ort, wo reines Bewusstsein lebt.“ (3) Vermutlich hat Rudolf Steiner diese Ebene im dritten Teil der Wärme- Meditation indirekt angesprochen.

Das Herunter-, Hinauf-, und wiederum Hinuntersteigen der okkulten Energiefelder entlang der Achse der Chakren verweist einerseits auf den Arztberuf im Bild des Äskulapstabs - aber auch auf die Vollendung des Buddha bis hin zu den herab strömenden Ästen des Bodhibaums - des „Weltenlebens“ nach Rudolf Steiner- in seiner Verklärung.

Was Rudolf Steiner unter einem „wirklichen“ Arzt verstand, warum er diese hoch spirituellen Übungen gerade für diesen Berufsstand empfahl, und wie er den Zusammenhang, die „Brücke“ zwischen den organ- gebundenen Kräften und dem medizinisch- okkulten Wissen um die inneren Organe sah, zeigt auch folgende Stelle: „Der wirkliche Arzt muß erkennen kosmologisch die Heilmittel, er muß erkennen anthroposophisch die innere menschliche Organologie. Er muß erkennend die äußere Welt durch Inspiration begreifen, die innere Welt durch Imagination begreifen, und er muß sich erheben zur Therapie durch eine wirkliche Intuition.“ (6)

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1 Peter Selg, Die „Wärme- Meditation“ Geschichtlicher Hintergrund und ideelle Beziehungen
2 Peter Selg, dito, S. 58
3 in der Interpretation von Ralph Skuban: „Patanjalis Yogasutra: Der Königsweg zu einem weisen Leben“
4 Rudolf Steiner, Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physischen des Menschen, GA 202, S. 189
5 Peter Selg, S. 21
6 Rudolf Steiner, Grenzen der Naturerkenntnis, GA 322, S. 86 https://anthrowiki.at/GA_322