Die Postfaktizität Judith von Halles

Judith von Halle in Motief
Vor kurzem ist ein Von Michel Gastkemper geführtes Interview mit Judith von Halle* erschienen- aus produktionstechnischen Gründen mit etwa 3 Jahren Verspätung, aber immerhin. Man kann nun auch vergleichen, wie die Zeit mit der 44jährigen anthroposophischen Architektin, Esoterikerin und Okkult- Autorin umgegangen ist, die vor Jahren mit ihrer Stigmatisierung und angeblichen Nahrungslosigkeit heftige Diskussionen bis hin zum SPIEGEL- Magazin ausgelöst hatte, aber zugleich der finanziellen Unterstützung vonseiten der Szene- Mäzene, Anthroposophen- Unternehmer und Verleger sicher sein konnte. Inzwischen erlaubt Frau von Halle auch die Ablichtung ihres Antlitzes, hat gewichtige Aufträge als Architektin und ermöglicht durch eine Autobiografie Einblicke in ihre Entwicklung.

Eine gewisse Rechtfertigung für ihre Erkenntnismethoden, die sie im Interview vorlegt, erscheint heute mehr oder weniger obsolet - sie sei, erklärt sie, keine bloße Hellseherin, sondern bewerte mit klarem Bewusstsein zugleich das von ihr Geschaute: „Wenn ich also beispielsweise eine Aussage machen will über die elementarische Welt, dann reicht es nicht, wenn ich mit meinem Bewusstsein in die elementarische Welt hineinsteige, sondern wenn ich eine Aussage über das elementarische Reich treffen will, muss ich mich auch – nachdem ich in dieser Sphäre wahrgenommen habe –, mit meiner rein geistigen Gedankentätigkeit über diese Sphäre erheben. Also das heißt: Ich muss mindestens bis zur imaginativen Stufe kommen, um über die elementarische Welt korrekte Aussagen machen zu können. Ansonsten würde man nur das Wahrgenommene beschreiben können, aber das wäre keine Erkenntnis. Wahrnehmung findet innerhalb der jeweiligen Sphäre statt, z.B. im Elementarreich, und da muss man auch hineinsteigen, wenn man das Elementarreich kennenlernen will. Aber die Erkenntnis muss in einer der darüber liegenden Sphären gebildet werden.

In der Folge führt Frau von Halle nicht gerade überraschende, aber womöglich selbst geschöpfte Erkenntnisse über das Engel- Bewusstsein, und die Erneuerung von Individuum, Moral und Erde durch Christus aus, einschließlich wohl bekannter Ausführung Rudolf Steiners über die „Sklerotisierung“ der Erde und eine kommende Überwindung des an das Gehirn gebundenen Denkens: „Und ich muss dafür sorgen, dass ich mir einen Leib schaffe, der mein Ich auch in Zukunft aufnehmen kann, wenn die materielle Erde und die materiellen Leiber weiter in einen Zerfall hineingehen.“

Das machen wir, Frau von Halle. Aber bis zu diesem Punkt im Interview finden wir keinen einzigen originellen oder originären Gedanken. Das gilt auch für von Halles Darstellung der anthroposophischen Streitkultur, die lediglich auf dem Beharren auf eigenen Standpunkten beruhe, und daher ihrer Meinung nach verbessert werden sollte, da sie in den Kinderschuhen stecke: „Wenn wir nur darauf aus sind, auf unserer persönlichen Meinung zu beharren, tragen wir zu einer Eskalation bei, nicht aber zu einer gemeinschaftlichen Erkenntnisbildung. Leider muss man feststellen, dass Kindern so etwas oft besser gelingt als uns Anthroposophen.“ Das alles klingt sehr banal, auch wenn von Halle -ein geschickter Spin- den scheinbar moralischen Appell speziell an Anthroposophen gibt, über den Tellerrand ihrer karmischen Peergroup hinaus zu schauen: „Das verbindende Element heißt Anthroposophie.“ Sie selbst sieht sich offenbar außerhalb der Ebene derer, die ihre okkulten Ausführungen für fragwürdig oder sensationslüstern halten, da diese im Gegensatz zu ihr in ihre „gravierenden karmischen Probleme(n)“ verstrickt und damit unfähig seien, „die Dinge objektiv“ zu sehen: „Wenn man also merkt, dass man eine persönliche karmische Beziehung zu jener Gruppe von Menschen hat, die in gravierende karmische Probleme verstrickt ist, dann sollte man zuerst prüfen, in wieweit man selbst in der Lage ist, die Dinge objektiv zu sehen oder in wieweit man doch selber so verstrickt ist, dass man unter Umständen befangen ist und sich eingestehen muss: in Wahrheit will ich gar nicht zu einer Einigung kommen.

Ihre Kritiker sind also - so die von ihr damit unterschobene, typisch anthroposophische Attacke, karmisch unreif und zu schwer moralisch- geistig belastet, um Judith von Halles Superiorität zu erkennen. Die aber bleibt ganz außer Frage- sie befindet sich in ihrer Eigensicht gar nicht auf einer gemeinsamen Ebene mit dem gemeinen anthroposophischen Pöbel, der nicht in der Lage ist, diese ihre Superiorität “objektiv“ anzuerkennen. Sie selbst muss sich damit nur vor himmlischen Kräften verantworten: „Und so stelle ich meine Arbeit in die Welt, indem ich mich vor Gott verantworte.“ Interviews und Diskussionen sei sie nur deshalb aus dem Weg gegangen, weil die Leute aus ihr einen Hype gemacht hätten und sensationslüstern gewesen seien: „..dass um meine Person zu viel „hype“ gemacht wird, und ich wollte das nicht noch befeuern durch Interviews, weil wirklich mein Anliegen die anthroposophische Arbeit ist und die Themen, die ich in meinen Büchern aufgreife. Und ich weiß, dass die Interviewpartner leider am wenigsten der Inhalt meiner Bücher interessiert, sondern das scheinbar Sensationelle meines Schicksalsganges..

Ach, bitte. Sich nun als die demütige, bescheidene Person darzustellen, der bitteres Unrecht geschehen ist, nachdem sie sich als als stigmatisierte Heilige vom anthroposophischen Bezirksverband Berlin inszeniert hatte, aus der Christus spricht und sie aus der Masse der sensationslüsternen Masse erhebt, ist ja die Finte des postfaktischen Zeitalters schlechthin. Verwesende Johannesse und von Schwarzmagiern wimmelnde Kreuzigungen pflastern ihren Weg. Sie hat sich als Marke, als Produkt erschaffen, das medial durch jeden Shitstorm gewinnt. Die Inszenierung als Opfer passt so wenig zu ihrem Eigen- Marketing wie ihre medialen und finanziellen Erfolge.

Vielleicht kann man sagen, dass uns drei Jahre später, nach Brexit, Trump- Kampagne, Putin- Trollen, diese postfaktische anthroposophische Inszenierung Judith von Halles nicht mehr weiter erschüttert oder auch nur verwundert. Die armen konventionellen Funktionäre der Anthroposophischen Gesellschaft können gegen solche medialen Rammböcke herzlich wenig ausrichten und wirken tatsächlich wie Schuljungen. So ist es ja sogar den Medienprofis Hillary Clintons ergangen- wenn auch auf einer anderen Ebene.

Vielleicht wäre das Phänomen von Halle auch weiter keiner besonderen Beachtung wert, wenn man nicht befürchten müsste, dass das in Agonie versinkende Funktionärstum anthroposophischer Prägung in Zukunft immer bizarrere postfaktische Phänomene dieser Art produzieren wird- mediale Gewächse, die Aufmerksamkeit erregen und den Frustrierten und Sektierern einen willkommenen Ersatz für ihre esoterischen Bedürfnisse bieten.

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*Englische Version des Interviews bei Southern Cross Review