Fake News des Mittelalters, Sex, Königinnen und Narzissmus

Vielleicht ist es nicht ganz neu, vielleicht aber immer mal wieder an der Zeit, sich zu vergegenwärtigen:

Fake News sind in der politischen Arena gängiges Kampfmittel- ein Mittel, das sich über die zivilisatorische Geschichte erstreckt, wobei sich, bei entsprechendem Druck, die Geschichtsfakten auch Hunderte von Jahren nach dem Ableben der Protagonisten denunziatorisch verbogen präsentieren können.

Gewiss, die mediale Gegenwart ist wie gebannt von einem amerikanischen Präsidenten, der den Begriff „Fake News“ ebenso häufig als Kampfmittel via Twitter benutzt wie er dadurch selbst charakterisiert wird- ein Präsident, der die weitaus meisten psychiatrischen Items für eine Persönlichkeitsstörung aus dem narzisstischen Kontext erfüllt, die da wären: Charme und Charisma gepaart mit „Grandiose sense of self-worth“*, „Need for stimulation/proneness to boredom“*, krankhaftes Lügen, manipulativ, Mangel an jeglichem Bedauern oder Reue, flache emotionale Regungen, Mangel an Empathie, parasitärer Lebensstil, mangelnde Impulskontrolle, usw. Ronson* schätzt, dass etwa ein Prozent der Bevölkerung von solchen psycho- pathologischen Regungen beherrscht werden, dass aber in Positionen von Macht und Manipulation dieses krankhafte Element geradezu bestimmend wird. Den skrupellosen, emotional hohlen, aber getriebenen Aufsteiger spült es geradezu in die Positionen des Herrschens- seien es politische, wirtschaftliche oder auch spirituelle.

Auch wenn man in Donald Trump ein geradezu reinrassiges Exemplar dieses Typs vor sich zu haben glaubt, ist das ja in der Herrscher- Liga nicht Neues. Und es geht noch um einiges schlimmer. Denken wir möglichst weit zurück- zum Beispiel an die legendäre, viel geschmähte und schon Lebzeiten mit Gerüchten verfolgte Eleonore von Aquitanien, Mutter von Richard Löwenherz, Kreuzfahrerin, Königin von England, Frau des französischen Königs, von dem sie sich scheiden ließ, um später gegen ihren zweiten Mann in den Krieg zu ziehen. Freundin der Troubadoure, Vorbild für die großen mittelalterlichen Romane: „Wie Chrétien schrieb, war Marie von der Champagne die Gönnerin, die ihn für seinen Lancelot oder Le Chevalier de la Charette – die erste Beschreibung der Liebe zwischen Lancelot und Ginevra – mit Material über die Artus-Legende versorgte. Chrétien war es, der Motive der Troubadourdichtung in die nordfranzösische Literatur einführte (..) Vielleicht dachte Marie von der Champagne, als sie ihm das Thema für seinen Roman Lancelot vorschlug, an das Leben ihrer Mutter, um das sich zu dieser Zeit bereits Legenden zu ranken begannen. Sicherlich wusste Chrétien um Eleonores zwei königliche Ehen und kannte auch die Gerüchte über ihr angebliches Fehlverhalten, die zur Auflösung ihrer ersten Ehe beigetragen hatten; und es ist auch nicht unplausibel, dass ein Roman, der scheinbar eine ehebrecherische Liebe guthieß, Anleihen bei der Biografie der englischen Königin genommen hatte.“ **

Das angebliche „Fehlverhalten“ Eleonores, dem ein langes, politisch brisantes Leben voller Wendungen folgte, das auch in ihren Biografien bis in die jüngste Vergangenheit dominierte und das Ralph V. Turner - auch aufgrund neu zugänglicher historischer Dokumente- nun als historische Fake News enttarnt, entsprang Eleonores Verhalten in der christlichen Enklave Antiochien im nördlichen Syrien während des 2. Kreuzzugs. Das politisch - gesellschaftliche Umfeld war zu dieser Zeit geprägt von starken Fürstinnen im südlichen Frankreich - eine Kultur eines gewissen Liberalismus: „In mancherlei Hinsicht hatten Bordeaux und andere Städte der Gascogne, in denen römische Traditionen lebendig geblieben waren, größere Ähnlichkeit mit mittelalterlichen Städten in Norditalien als mit solchen in Nordfrankreich.“ **

Typisch war das Aufkommen der Troubadour- Kultur, die später zum schärfsten Gegensatz zur katholischen Kirche führte: „Weil die Troubadoure den Lehren der Kirche über Liebe, Ehe und Sexualität widersprachen, unterstellte man ihnen, sie seien von Ketzern wie den Katharern verseucht oder gar von islamischen Einflüssen aus Spanien geprägt worden.“ ** Zudem erschien die junge Eleonore - gebildet, willensstark, konsumfreudig und politisch ambitioniert, im Machtgefüge der Zeit als umkalkulierbares Risiko: „Die junge Königin hatte die Fähigkeit, «einen entschlossenen politischen Standpunkt einzunehmen», wie der gefürchtete Bernard von Clairvaux feststellte, als er sie am französischen Königshof kennenlernte.“

Das alles stand im schärfsten Gegensatz zu ihrem frömmelnden Ehemann, dem französischen König Ludwig VII., der sich als impulsiv, kurzsichtig und als überaus schlechter Stratege erwies. Das von ihm geführte Kreuzfahrer- Heer wurde schon auf dem Weg aufgrund von Ludwigs Fehlentscheidungen aufgerieben- in Antiochien angekommen, agierte er weiterhin undiplomatisch und unklug und brachte auch verbündete islamische Herrscher und Städte gegen sich auf. Ludwigs Fehlverhalten sollte auf mittlere Sicht dazu führen, dass Antiochien und das Königreich Jerusalem durch eine geeinte Gegenfront überrannt werden sollten. Das politische Ungeschick ihres Ehemanns befremdete Eleonore, die stets präsent war, so sehr, dass sie nach der Rückkehr die endgültige Trennung durchsetzte. Um die demütigende Niederlage des französischen Königs vor Feind, Freund und Ehefrau zu kaschieren, wurde eine „schwarze Legende“ in die Welt gesetzt, in der Eleonore mit den islamischen Herrschern, mit dem Teufel und vor allem mit ihrem Onkel, dem Herrscher von Antiochien, konspiriert habe, vor allem auf sexueller Ebene: „Es war ein angeblicher Fehltritt Eleonores bei einem Besuch in Antiochia nach der strapaziösen Durchquerung Anatoliens, der eine «schwarze Legende» entstehen ließ, die zum festen Bestandteil ihres bis heute fortdauernden Rufs als sexuelle Abenteurerin wurde. Der Aufenthalt der französischen Königin bei ihrem Onkel, Fürst Raymond von Antiochia, ließ Unverträglichkeiten zwischen den zwei nicht zueinanderpassenden Eheleuten offen zum Ausbruch kommen, womit die Auflösung ihrer Ehe begann, die nicht einmal der Papst rückgängig machen konnte.“ **

Als „Medium“ für das stete Anrühren immer wilderer Gerüchte wurden nun kirchliche Biografen, aber auch die umher ziehenden Troubadoure benutzt, denen sehr wohl schon damals bewusst war, dass „Sex sells“: „Ursprünglich angerührt in den Feldlagern der französischen Kreuzfahrer, denen das unrühmliche Ende ihres Unternehmens schwer im Magen lag, wurde der Gerüchteteig jetzt von Höflingen in Paris mit frischer Hefe zum Treiben gebracht – von Leuten, die Eleonore ihre Wiederheirat übel nahmen. Es sind Troubadour-Verse überliefert, die «auf Gerüchte und sensationsheischenden Klatsch über aktuelle Geschehnisse» anspielen oder diese widerspiegeln; aus ihnen lässt sich ablesen, welche Kreise Eleonores angebliche Affäre in Antiochia zog.“ Die Sexualisierung und Dämonisierung von politisch ambitionierten Frauen lag ganz im Interesse der katholischen Kirche, die eine rein männlich dominierte Machtpolitik betrieb und forcierte. Daher legte selbst der berüchtigte Inquisitor Bernhard Gui Wert auf die Herabwürdigung Eleonores, die sich dann tatsächlich in immer neuen Verleumdungen bis in die Neuzeit verfolgen lässt: „Im frühen 14. Jahrhundert übernahm Bernard Gui, ein Inquisitor und Autor, der den Dominikanern angehörte, aus der Chronik Hélinands den Passus über Eleonore und fügte ihn in sein Geschichtsbuch ein.“ Die Legenden von Sex, Magie und schönen Königinnen sind einfach zu schön, um nicht tradiert zu werden. Im Falle Eleonores haben sie - auch was das Verhältnis zu ihrem Sohn Richard Löwenherz betrifft- 800 Jahre überlagert: „Die moralische Herabwürdigung Eleonores durch Vorwürfe persönlichen Fehlverhaltens war die Antwort der mittelalterlichen Meinungsmacher auf ihre schockierende Weigerung, sich den restriktiven Normen der mittelalterlichen Gesellschaft zu unterwerfen.“**

Die Verbannung der Frau aus möglichst allen selbständigen, selbstbewussten, mit Macht assoziierten Positionen war, wie Ralph V. Turner aufzeigt, ein ständiges Anliegen der katholischen Geschichtsschreiber. Die schwarze Legende von der Königin Eleonore war das passende propagandistische Narrativ. Kaum verwunderlich, dass dieses Thema bei Rudolf Steiner nicht erscheint. Bei ihm steht nicht das Verschwinden- Lassen der Frau, sondern das eines ganzen Kontinents im Mittelpunkt der Betrachtung: „Noch im 12. Jahrhundert gab es einen lebhaften Verkehr von Irland über Island nach Amerika hinüber. Insbesondere Heilkräuter und anderes wurde durch den lebhaften Verkehr nach Europa eingeführt. Und aus gewissen Gründen, die mit dem inneren Karma von Europa, mit der Rolle zusammenhängen, die in früheren Zeiten Irland gespielt hat, geschah es, daß von Rom aus alles getan worden ist, um Europa von Amerika abzuschließen und Amerika geradezu vergessen zu machen. Es war damals gut gemeint mit Europa.“*** Gut gemeint bedeutet bei Steiner, „daß man in Rom die Notwendigkeit einsah, Europa vor der westlichen Halbkugel abzuschließen“****, um angeblich den sich entwickelnden Verstand vor den verderblichen magnetischen Kräften Amerikas zu schützen. Da erscheint es nur folgerichtig, dass sich „Rom“ in einem Rutsch auch der Kultur der Frauen, der Troubadoure und der spezifischen Esoterik der Katharer entledigt hat- zugunsten einer männlich dominierten, kriegerischen, abgeschotteten Rationalität, in der sich Nationalismus, päpstliche Dominanz - auch mit Hilfe von „Fake News“ entfalten konnte.

In der egomanisch- narzisstischen Figur Donald Trump hat man wohl einen Tiefpunkt der männlich dominierten Machtkonfiguration zu sehen, die, bar jeder Imagination, Inspiration und Empathie in Ausgrenzung, Demütigung und Mauernerrichten ihr Betätigungsfeld findet. Der Typus ist schließlich 800 Jahre lang heran gezüchtet worden und entpuppt sich nun als propagandistischer Popanz. Es wird Zeit für mehr Eleonore.

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*“The Psychopath Test“ by Jon Ronson
**Eleonore von Aquitanien: Königin des Mittelalters (German Edition) by Ralph V. Turner
***Rudolf Steiner, GA 174a, S. 206
****Rudolf Steiner, GA 178, S. 67f
Ein Überblick zur Person Eleonore bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Eleonore_von_Aquitanien