Rudolf Steiner und die Stella Matutina. Theosophie und magisch- okkulte Logen

Dr. Robert Wiliam Felkin, Stella Matutina

Der „zukünftige Mensch“ Judith von Halles


In ihrem Buch „Anna Katharina Emmerick. Eine Rehabilitation" (1) versuchte Judith von Halle im zweiten, wesentlich kürzeren Teil einen innigen Zusammenhang von Rudolf Steiner mit via Channelling agierenden Logen der vorletzten Jahrhundertwende zu konstruieren, indem sie behauptet, Steiner sei "geheimer“ (2) Großmeister aller Londoner Rosenkreuzer- Logen gewesen, ohne zwischen dieser Art seit Mitte des 19. Jahrhunderts neu aufgelegten magischen Vereinigungen und der spezifisch anthroposophischen Intention zu unterscheiden. Den Zusammenhang sieht sie gegeben durch den „in anthroposophischen Kreisen weitgehend unbekannten Neville Meakin“ und in seinem Arzt (..), dem ebenfalls mit Rudolf Steiner bekannten „Dr. Robert William Felkin, dem Begründer der Unterabteilung des Hermetik Order of the Golden Dawn, der Rosenkreuzer- Loge Stella Matutina.“ (1)

Rudolf Steiner sei seit „den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts geheimer Großmeister aller in London bestehenden Rosenkreuzer- Logen“ gewesen, über deren leitende Mitglieder er überhaupt erst „in nennenswerten Kontakt zu den führenden Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft getreten war." (3) Meakin, der, ebenso wie von Halle, angeblich stigmatisiert war, sei rechte Hand und Stellvertreter Felkins gewesen, und im übrigen Steiners „Schüler, Freund und Impulsträger der Theosophie (Anthroposophie ) für die Zukunft" (4). Als Meakins Nachfolgerin wiederum sieht von Halle Edith Maryon (s.u.), die von Felkin, wie Maryon selbst in ihren Briefen (5) bestätigt, nicht nur an Steiner vermittelt worden war, sondern im weiteren Verlauf tatsächlich Steiners Schülerin und tatkräftige Mitarbeiterin wurde. Ihr erster Brief (6) an Steiner belegt dies: "Dear Dr. Steiner, Dr. R.W. Felkin (F.R.) hat mir gesagt, daß ich Ihnen schreiben soll und Sie bitten, mir eine Unterredung zu gewähren." Nach Ausbleiben einer Antwort suchte sie weiter im Namen von Felkin den Kontakt und fand ihn schließlich auch.

Von Halle behauptet, die durch Meakin, der selbst übrigens bald verstarb, vorgeführte Stigmatisation sei zwischen Steiner und Maryon ein zentrales Thema geblieben, in Hinblick auf "der neuen, höher entwickelten Leiblichkeit des zukünftigen Menschen" (7) Damit nutzt sie die Gelegenheit, wieder - in aller Bescheidenheit, selbstverständlich- sich selbst mit ihrer Stigmatisierung in einen angeblich bedeutenden Zusammenhang zu bringen- als „zukünftiger Mensch“. (7)

Felkins Motive zur Kontaktaufnahme mit Steiner 

Was waren nun für den Logenleiter Felkin die Motive, sich selbst und vor allem Edith Maryon in Kontakt zu Steiner zu bringen?

Felkin war - trotz diverser Streitigkeiten und Abspaltungen- im Namen des Meisters des Golden Dawn, Samuel Mathers, tätig, der die Rituale  von seinem Vorgänger Westcott übernommen und bedeutend ausgeweitet hatte, obwohl ihr Ursprung mehr als dubios war. Westcott hat sie vermutlich selbst geschrieben oder per Channeling „empfangen“- die von ihm benannte Quelle jedenfalls blieb trotz Nachforschungen dubios bzw. verstarb dann pünktlich, als die Nachfragen und Quellenanalysen dringlicher wurden. Westcott war sicherlich eine im Sinne magischer Zeremonien bedeutende Persönlichkeit, vor allem in der Ausarbeitung systematischer Rituale für Gruppierungen, die rituelle Zeremonien im Sinne des Golden Dawn suchten. Vor allem Aleister Crowley hat diese rituelle Neubelebung magisch- satanistischer Rituale später vertreten und ausgebaut, die dann wieder im Rahmen der Hippie- Kultur in den USA aufgegriffen worden ist.

Mathers und seine Frau Mina agierten zunächst als reine Medien im Sinne von „Empfangsstationen“: "Mathers and Mina had been using what could be described as channeling sessions at that time" (8). Während Mina ein devotes, menschenscheues und sexuell verstörtes Wesen war, trat Mathers herrschsüchtig, anmaßend und so dominant auf, dass eben dies zu den späteren Spaltungen innerhalb der Gruppierung führte. Aber er entwickelte ein magisches Ritual und regelrechte Exerzitien über gewisse Grade hinweg, in denen bald mit "Egregores" gearbeitet wurde, d.h. magische Experimente "with Group Minds" (9). Solche bei den rituellen Handlungen auftretenden, inspirierenden „Gruppengeister“ im Sinne eines Channeling, die durch magische Akte herbei gerufen werden - darunter auch der angebliche Geist von Christian Rosenkreutz- haben Auswirkungen in die in dieser Art orientierte okkulte Szene bis hin zu Aleister Crowley und L. Ron Hubbard gehabt. Sie sind heute Standard- Verfahren vieler sich selbst als Hellseher verstehender Internet- Propheten. Der Logen- ähnliche Ursprung des ursprünglichen Golden Dawn verwandelte sich stetig über Westcott, Mathers bis hin zu Felkin zu einem rein magischen Orden, der in seinen Ausläufern bis heute besteht.

Mathers begründete seinen Führungsanspruch immer wieder durch seinen angeblichen exklusiven Kontakt mit den "Meistern" hinter der Loge. Mathers traf auf viele Zeitgenossen wie William Butler Yeats, der ihn in seinen "Autobiografien" (10) so beschrieb:
Er hieß Liddell Mathers, nannte sich aber (..) bald MacGregor Mathers und dann einfach MacGregor. Er war Verfasser der "Enthüllten Kabbala" und trieb nur zweierlei Studien: Magie und Kriegstheorie, denn er hielt sich für einen geborenen Feldherrn und dem alten Juden an Weisheit und Macht ebenbürtig". Der geborene Feldherr versank allerdings nach und nach in Alkoholismus und Armut.

Aber in den Anfangsjahren nach 1892 entwickelte er ein erfolgreiches Konzept an magischer Schulung: "Membership was growing and in modern terms people were being trained in magic" (11). Ein Problem dieser Art magischer Orden ist, dass das Ego durch die Kulte aus dem Ruder läuft ("empower the personality", Farrell), und dass sich dabei auch die dunkelsten Aspekte der Persönlichkeit entfalten; they "start to glow" (12). Daher wurde Mathers eine herrschsüchtige, dominante Persönlichkeit, die sich selbst als "Supreme Magus" betrachtete. Dieses „ego boost" (13) bekam vielen nicht gut, Mathers aber am wenigsten.

Inzwischen hatte Dr. Felkin, geschult in fortgeschrittenen Graden, in denen man in okkulter Séance am Kruzifix aufgehängt wurde, einen eigenen Geist gechannelt, den er Shemesh nannte- vermutlich sein "arabischer Meister". Felkin war der Meinung, er könne die ominösen Meister (14) selbst, in realer Person, treffen. Es kam zu Streitigkeiten mit Mathers, der den Schwarzmagier Aleister Crowley mit ins Boot holte- als intrigante Geheimwaffe, sozusagen. Ab 1898 trieb Crowley sein egomanisches Spiel in den Logen, getreu der Crowley- Devise, dass Lügen und Verwirrung stiften erste Regel des wahren Magiers sind (Chaos - Magick).

Mathers wurde trotz seiner Drohungen, magische Attacken zu senden, immer weiter ausgegrenzt. Obwohl er sicher war, als realer Magier niemals zu leiden ("their contacts will make sure that they don´t starve", Farrell, S. 113), versiegten im Streit seine Geldquellen. Außerdem litt der Ruf der Londoner Magie- Logen unter einem Betrüger- Paar namens Horos, das wegen Diebstahls und systematische Vergewaltigung im Namen des Golden Dawn verurteilt wurde. Es war ein richtiger Yellow Press- Skandal, der viele Mitglieder um ihren Ruf fürchten ließ. Auch Yeats schwieg sich über seine wirklichen Verstrickungen in seiner Autobiografie lieber aus.

Felkin wechselte 1900 in den "Solar Order" und war sich sicher, "with the Inner Masters" dort in Kontakt zu stehen. Er lernte "the value of using mediums" (15) weiter zu schätzen und konnte dadurch "the Hidden Masters of the Sun" befragen. Er erhielt von ihnen (wem oder was auch immer) „“impressional" and "astral" teaching" (16). Damit gelang es Felkin, zum Meister aufzusteigen und Mathers auch in Bezug auf die Geldgeberin zu beerben. Nach einer weiteren Spaltung durch den eher seriösen, am okkulten höheren Logenwesen interessierten Arthur E. Waite (17) begründete Felkin seine rein magisch agierende "Stella Matutina". Es bestand reges Interesse, nun da Felkin "Imperator" war, die bestehenden Rituale zu erweitern. Trotz seiner Macht und gechannelten Instruktionen seiner Sonnenmeister war er weiterhin außerstande, solche Rituale selbst zu entwickeln. Er suchte ein "full curriculum" (18).

Daher reiste er durch ganz Europa- und fand ausgerechnet Rudolf Steiner: "All he endet up with were a few Meetings with the mystic Rudolf Steiner, who was going through a Rosicrucian Phase" (19). Es kann also keine Rede davon sein, dass Steiner bislang mit diesen Londoner Logen bekannt gewesen oder gar, wie von Halle behauptet, deren Großmeister gewesen sei. Diese ersten Treffen mit ihm dienten nur dazu, Steiner okkult auszuplündern und aus dessen Kenntnissen "ritual equivalents" (20) für die illegitimen magischen Zirkel zu stehlen- ein übrigens in der Vergangenheit dieser Kreise häufig betriebenes Spiel. Es ist zu vermuten, dass Felkin auch Edith Maryon nicht aus edlen Motiven an Steiner vermittelte. Im Gegenteil: Mit den angeblich gewonnenen höheren Erkenntnissen konnte Felkin nun als "ritualistically senior" auftreten, und seine Stellung als Imperator festigen: "Inspired what he witnessed during Steiner´s ceremonies, he wrote new neuer higher grade Rituals for his own Stella Matutina“ (21).

R.A. Gilbert, der als besonders fachkundig gilt und sehr sorgfältig arbeitet, geht auch davon aus, dass Felkin seinen Patienten Meakin zu Steiner geschickt hatte: "Felkin lag mehr daran, die Geheimen Führer zu finden, deren Wirken er irgendwo in Deutschland vermutete; zu diesem Zweck schickte er 1911 Neville Meakin (Ex Orients Lux) aus seiner Gruppe zu Rudolf Steiner. Er sollte ihn aufsuchen und an seinen rosenkreuzerischen Zeremonien teilnehmen." (22). Meakin hatte auch einen sehr hohen Rang innerhalb des konkurrierenden Ordens von Waite und besaß daher für solche Missionen "größtmögliche rituelle Gunst" (23). Auch Waite war "zutiefst neugierig, was Steiners Rolle in der Rosenkreuzer- Bewegung auf dem Kontinent anbetraf" und fragte Meakin eingehend aus. Die Treffen waren aber diesbezüglich enttäuschend verlaufen- offenbar waren Steiners Unterweisungen "hauptsächlich zur Verbreitung von Steiners philosophischen Lehren" gedacht- nichts, womit man höhere okkulte Grade der "linken Hand" begründen konnte. Daher war Waite überzeugt, dass Felkin, als er ein Jahr später mit seinen phantastischen Behauptungen von seiner eigenen Initiation bei Steiner und der Aufnahme "in vier Grade" etwas erfand, um seine Machtposition zu sichern. Später traf Waite selbst auch Rudolf Steiner, als dieser in London war und erhielt von diesem Bestätigung darüber, dass Felkins angebliche "Initiation" ganz "prosaisch verlaufen" war. Zu Felkins vielen Fehlern gehörte eben "eine gewisse Hinterhältigkeit" (24).

Der stigmatisierte Meisterschüler Meakin und der arabische Meister

Ähnliche Fehler könnte man nun auch bei Judith von Halle vermuten, die ihre eigenen Machtansprüche in Bezug auf die angeblichen Wundmale in Bezug bringt zu Meakin, und Felkin und seine magische Tätigkeit verklärt, seine Lügen vertuscht und so etwas Obskures wie Stella Matutina, in der Sonnendämonen gechannelt wurden, rein zu waschen versucht. Die Täuschungsmanöver eines Felkin verbrämt sie zu der Behauptung, "Felkin konnte trotz aller Anerkennung für Rudolf Steiner seine Aktivitäten nicht in dessen Dienst stellen" (25). Diese "Anerkennung" bestand vor allem in einer erlogenen Initiation, aus der er Material für Stella Matutina saugen wollte. Dass Meakin bei Judith von Halle als Säulenheiliger der anthroposophischen Zukunft herhalten soll, obwohl er innerster Vertrauter zweier magischer Logen war, vervollständigt das verdrehte Bild, das von Halle in die Welt setzt. Sie selbst muss sich fragen lassen, wie weit ihre Anerkennung von Felkin und Meakin nicht ein Bild auf sie selbst wirft. Ihre „Impulsträger der Theosophie (Anthroposophie ) für die Zukunft" (von Halle) jedenfalls sind mediale Großmeister obskurster Magie- Zirkel. Hier von Halle im Zusammenhang:

Damit aber die hier gemachte Andeutung nicht schon von vornherein als Erfindung abgetan wird, soll zumindest ein kurzer exoterischer Hinweis gegeben werden: Bei dem stigmatisierten Schüler Rudolf Steiners handelte es sich um den in anthroposophischen Kreisen weitgehend unbekannten Neville Meakin und bei seinem Arzt um den ebenfalls mit Rudolf Steiner bekannten Dr. Robert Felkin, dem Begründer der Unterabteilung des Hermetic Order of the Golden Dawn, der Rosenkreuzer- Loge Stella Matutina. Rudolf Steiner war seit den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts geheimer Großmeister aller in London bestehenden Rosenkreuzer- Logen, über deren leitende Mitglieder er überhaupt erst in nennenswerten Kontakt zu den führenden Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft getreten war. Neville Meakin war die rechte Hand und der Stellvertreter Robert Felkins in der Stella Matutina. Rudolf Steiner sah in ihm nicht nur einen Schüler. Er erkannte in ihm eine außergewöhnliche Persönlichkeit, von deren Wirksamkeit er sich vor allem in England in Bezug auf seine große Mission als Meister der Weißen Loge viel versprach.“ (26)

Nach dieser bemerkenswerten Darstellung verdankt Rudolf Steiner den Repräsentanten dieser Channel- Logen also seine Kontakte und Wirkung in Bezug auf die Theosophische Gesellschaft, aber auch die Entfaltungsmöglichkeit als „Meister der Weißen Loge“- abgesehen von der blühenden Fantasie eine von jeder Quelle widerlegte Art des Kontaktes und der Beziehung. Natürlich passen auch die Jahreszahlen nicht im geringsten. Selbst ein Logen- Anhänger wie Gyllene Gryningen (27), der Rudolf Steiner als Pseudo-Rosenkreuzer („Rosicrucian wannabe“) ansieht, setzt die oben beschriebenen Kontakte Felkins über Meakin zu Steiner ab 1910 an:

I have often though about the fact that Rudolf Steiner for a time was regarded to be a “Secret Chief” and his branch of the German O.T.O. (Ordo Templi Orientis), and its Freemasonic Memphis & Misraïm Rite, to be regarded as the “Third Order” of the Golden Dawn offshoot Stella Matutina, headed by Dr. Robert William Felkin.
I remember reading about this fact for the first time in Ellic Howe’s seminal, but highly biased, account of the history of the Golden Dawn, i.e. The Magicians of the Golden Dawn, and later in Francis X. King’s highly sympathetic reading Ritual Magic in England. I remember that I was appalled by this information; how could Dr. Felkin allow himself to be so duped by a Theosophist and Rosicrucian wannabe as Rudolf Steiner?

Over the years my respect for Steiner and his works, especially his western form of Theosophy called “Anthroposophy”, has grown considerably, (..), listed Steiner as one of their former Grand Masters, right after MacGregor Mathers and William Wynn Westcott!
So today I do regard Rudolf Steiner as a real Rosicrucian, albeit of a totally different current as compared to the Golden Dawn. In my opinion blending Memphis & Misraïm, and especially Rudolf Steiner’s take on that Rite, with the Golden Dawn is like blending water with oil; they don’t mix particularly well. Let me explain why in this following essay, presenting both the history of Dr. Felkin’s dealings with Rudolf Steiner and the following consequences that have come out from all that and effected the particular branch of the Golden Dawn which are known to us as the Stella Matutina. (..)

Later, in june 1910, Dr. Felkin received the address to Rudolf Steiner from Dr. Wilhelm Hübbe-Schleiden. Obviously, Steiner had already gained an impressive reputation amongst German contemporary occultists. He was the Secretary General of the German branch of the Theosophical Society under Annie Besant, but more significantly he was heading a western style lodge of the aforementioned Memphis & Misraïm (which I henceforth will abbreviate as M&M). In 1906 he was granted a charter from Theodor Reuss, the Grand Master of the O.T.O. and M&M in Germany and Austria, to run a Chapter and Grand Council called “Mystica Aeterna”. They also admitted both male and female members. In time, Mystica Aeterna became the “Cognitive Cultic Section” (also called the “Misraim Service”) of the Esoteric School of the German Section of the Theosophical Society.
Dr. Felkin met Steiner in 1910 and obviously was greatly impressed by him, being seen as the hitherto missing link to the historical German Rosicrucian fraternity and therefore corroborating with Felkin’s conceptions of what the Secret Chiefs of the Third Order was supposed to be. Supposedly Dr. Felkin was persuaded also by his discarnate and astral teacher Ara Ben Shemesh (abbreviated as A.B.S.), the “Arab Teacher”. (27)

Felkin war also durch seinen „arabischen Meister“, der ihn „astral leitete“, 1910 erstmals auf Rudolf Steiner aufmerksam gemacht worden, wobei ihm die Adresse Steiners 1910 durch den Theosophen Hübbe- Schleiden vermittelt worden war. Das zur Korrektur der Behauptungen von Halles. Die innere Verbindung der Lehren zu der rituellen Magie, die Felkin vertrat, war demnach wie „Öl und Wasser“. Felgen wurde von Steiner auch nicht, wie beabsichtigt, als Schüler zugelassen, und hinterließ daher Meakin als Stellvertreter: „Be there as it may, in late 1910 Felkin, not being able to personally attend the instruction of Steiner, consulted A.B.S. about his choice of representative, Nevill Meakin. Meakin, who supposedly was the author of the revised Portal Grade Ritual as published in Israel Regardie's books, was approved by A.B.S. and soon was sent to Berlin as Felkin’s emissary.“ (27)


Zum Abschluss noch ein paar Bemerkungen zur Rolle Edith Maryons


Edith Maryon war eine englische Bildhauerin, die zeitgleich mit der Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft „mit entschiedener innerer Sicherheit“ (Rudolf Steiner, GA 263/1, S. 238) „sich mit dieser Bewegung“ verband. Sie war auf besonders enge Weise Steiners persönliche Vertraute, da sie nach seinen Angaben in seiner Werkstatt arbeitete, und vor allem an der Realisation der Skulptur des „Menschheitsrepräsentanten“ mitwirkte. Judith von Halle nimmt immer wieder Bezug auf Maryon, durchaus nicht nur in Form von Zitaten, sondern auch so, dass sie mit Entschiedenheit Stellung zu Fragen des inneren Lebens Maryons beantwortet, die eine enge Beziehung (ohne Quellenangaben zu geben) suggerieren. Es liegen am Verlag am Goetheanum die Biografien von Rex Raab und die von Peter Selg (28) vor, wobei sich die zweite als aktualisierte Neufassung der ersten versteht.

Rudolf Steiner legte eine ungewöhnliche Strenge Edith Maryon gegenüber an den Tag. Während er sonst auf die innere Freiheit und Eigeninitiative seiner Mitarbeiter primären Wert legte, lobte er selbst bei der Beisetzung der früh verstorbenen Maryon (29) deren Bruch mit ihrem vorherigen Leben, ihre eiserne Disziplin und „Folgsamkeit“ in der Arbeit Rudolf Steiner gegenüber: „Man kann in einer gewissen Beziehung in die anthroposophische Bewegung nichts hineintragen, sondern man muß eigentlich zunächst das liegen lassen, was man vorher hat, wenn man aktiv mitarbeiten will. (…) Es konnte sich nicht darum handeln, etwa so zusammenzuwirken, daß irgend eine Resultante des Zusammenwirkens entstanden wäre, sondern es konnte sich nur darum handeln, daß die Arbeit so geleistet wurde, wie ich es haben mußte, wie sie geleistet werden mußte nach den Intentionen des Goetheanums, die ich zu vertreten hatte. (…) Ob man einverstanden ist miteinander oder nicht, die Arbeit muß zustandekommen, die Arbeit muß möglich sein.

Das ist tatsächlich, zumal bei einer Beisetzung, eine merkwürdige Charakterisierung eines Verhältnisses. Es wird ganz deutlich, dass es ein Problem in diesem „Einverstanden- Sein“ bei Edith Maryon gegeben haben muss, dass Rudolf Steiner ihr eine derartige Disziplin abverlangte. Und das, obwohl Maryon sehr früh nach ihrem Eintritt auch in die Esoterischen Klasse der Anthroposophischen Gesellschaft aufgenommen worden war und offensichtlich und explizit erhebliche esoterische Kompetenz mitgebracht hatte. Der Zusammenhang wird vielleicht deutlich, wenn ein weiterer Ausschnitt dieser Rede zur Gedenken an Maryon betrachtet wird: „Edith Maryon hat das, was in der anthroposophischen Bewegung zu finden ist, dadurch gesucht, daß sie zunächst innerhalb einer anderen esoterischen Gruppe Mitglied war und an den verschiedensten Arbeiten dieser Gruppe als ein sehr tätiges Mitglied teilgenommen hatte.“ (29)

Was ist unter „sehr tätig“ in diesem Zusammenhang zu verstehen? Peter Selg schreibt in der genannten Biografie, dass Maryon ab 1910 publizierte Aufsätze Steiners zur geistigen Schulung gelesen und 1912 zweimal vergeblich versucht hatte, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Erst der Bittbrief eines Freundes, in der dieser schrieb „As she is in urgent need of advice and help, she can wait no longer..“, reagierte Steiner. Vielleicht schon in Berlin, spätestens am 31. Dezember in Köln fand eine Unterhaltung statt, die auch einen merkwürdigen Charakter gehabt haben muss, denn Maryon schrieb ihm schon am 1. Januar: „Sie sagten gestern dass ich viel mehr okkult entwickelt bin als ich in dieser Inkarnation zur Geltung bringen kann- ist das die Folge eines Fehlers, den ich begangen habe, oder weil ich eine andere Art von Arbeit zu vollbringen habe?“ (30)

Maryon selbst, die „geschulte Okkultistin“ (31) schrieb, sie sei bislang dem Meister Abdul Baha, dem Leiter der Bahai- Gemeinde gefolgt, aber das erklärt Rudolf Steiners strenge Betreuung und Auflagen ihr gegenüber nicht. Vielmehr war Maryon seit 1909, mit 37 Jahren, Mitglied des „esoterischen Ordens - der „Hermetic Students of the Golden Dawn“ (32), genauer gesagt deren Nachfolge- Orden „Stella Matutina“. Selg nennt diese Mysterienrichtung höflich „eleusinisch“. Genauer ausgedrückt handelte es sich um den bedeutenden magischen Zirkel Dr. Felkins:

Der Hermetic Order of the Golden Dawn (hermetischer Orden der goldenen Morgendämmerung, kurz: Golden Dawn) war eine magische diskrete Gesellschaft. Er wurde um 1887/1888 in London von William Robert Woodman, Samuel Liddell MacGregor Mathers und William Wynn Westcott gegründet. Der Orden bestand bis 1903 und zerfiel dann wegen innerer Streitigkeiten in diverse Nachfolgeorganisationen.“ (33)

Berühmtestes Mitglied war der Schwarzmagier Aleister Crowley. Maryon wurde offensichtlich nicht direkt Mitglied dieses Kreises, aber des Ablegers Stella Matutina, dem die meisten Gründungsmitglieder des Golden Dawn gefolgt waren. Maryons Interesse an Rudolf Steiner entsprang wohl einer Gruppe innerhalb dieses Ordens, der sich speziell als „Rosenkreuzer- Gruppe“ betrachtete. Allerdings arbeitete diese Splittergruppe auf eine magische Art, nämlich durch Channeling, Beschwörung, Mediumismus und Besessenheit: „Die "Rosenkreuzer"-Gruppe, die von sich behauptete, sie könne durch Geisterbeschwörungen ein Medium in einen Zustand der Besessenheit versetzen, der es ermögliche, als Kontrollgeist niemand geringeren als die fiktive, legendäre Romanfigur des Christian Rosencreutz zu channeln.“ (34) Nach dem Weggang Maryon gab es Skandale, Veröffentlichungen und Schließungen dieser Zirkel, weil behauptet wurde, „dass es sich bei dem Orden um eine satanistische Organisation handele und verurteilte als konservativ gewordene Christin öffentlich die Machenschaften, später auch in zwei Büchern, in denen sie ihrem Eindruck Raum gab, dass die Stella Matutina eine satanistisch- kommunistisch-zionistische Konspiration sei, welche mittels sexueller Energien die Weltherrschaft erlangen wolle.“ (35) In jedem Fall war der höchst dubiose Orden ein exklusiver Zirkel, der zur Zeit von Maryons Eintritt seinen Höhepunkt hatte: „In seiner Blütezeit zwischen 1904 und 1910 wurden hier allein 72 Männer und Frauen initiiert.“

So wird es verständlich, dass Rudolf Steiner Maryon mit äußerster Konkretheit eine streng überwachte Arbeit zuwies und ihr eine stetige Distanz und Strenge auferlegte, trotz der langjährigen intensiven Zusammenarbeit. Er selbst charakterisierte ihr Mitwirken in diesen schwarzmagischen Kreisen als „sehr tätiges Mitglied“. Gerade das giftige Arbeiten in mediumistischen Beschwören des gechannelten Christian Rosenkreutz muss ihre esoterische Arbeit auf das Schwerste korrumpiert haben- so sehr, dass Rudolf Steiner aussagte, sie werde ihre (konstruktive) Aufgabe in einer Inkarnation nicht bewältigen können.

Es ist nun merkwürdig, dass sich Frau von Halle so nachhaltig darauf versteift, dass derlei obskure Vereinigungen und okkulte Bewegungen wesentlichen Einfluss auf Rudolf Steiner, sein Wirken und seine Entfaltung gehabt haben sollen, ja, dass er deren Meister gewesen sein soll. Schließlich hat die Entwicklung des Golden Dawn über Aleister Crowley zur Renaissance der rituellen Sexual- Magie geführt, zum modernen Satanismus und einer Neuauflage mediumistischer Channel- Aktivitäten. Rudolf Steiner selbst ist Problemen, die mit der Verwicklung in solche Aktivitäten verbunden waren, (wie man am Fall Edith Maryons sieht) als lebenslanger Therapeut entgegen getreten und hat die Schülerschaft eines dubiosen Meisters wie R.W. Felkin abgelehnt.



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1 Von Halle, „Anna Katharina Emmerick. Eine Rehabilitation“, Verlag für Anthroposophie 2013
2 typisch von Halle: Steiner als „geheimen“ Großmeister auszugeben erspart ihr jegliche Notwenigkeit der Quellenangaben- die ohnehin nicht möglich wäre, weil die Behauptung erfunden ist
3 von Halle, S. 303
4 von Halle, S. 303
5 Rudolf Steiner / Edith Maryon: Briefwechsel. Briefe – Sprüche – Skizzen, 1912–1924
6 GA 263/1, Chiswick London 16.10.1912
7 von Halle, S. 306
8 Nick Farrell, King over the Water. Samuel Mathers and the Golden Dawn, S. 61
9 Farrell, S. 73
10 William Butler Yeats, Autobiografien, Leipzig 1984, S. 168f
11 Farrell, S. 76
12 Farrell, S. 76
13 Farrell, S. 81
14 the "Secret Chiefs" nach Farrell, S. 83
15 Farrell, S. 135
16 Farrell, S. 135
17 R.A. Gilbert, Arthur E Waite. Ein Magier besonderer Art, Königsförde 1998
18 Farrell, S. 138
19 Farrell, S. 138
20 Farrell, dito
21 Farrell, dito
22 Gilbert, S. 168
23 Waite nach Gilbert, dito
24 Gilbert, dito
25 von Halle, S. 304
26 Von Halle, S. 303
27 http://gyllenegryningen.blogspot.de/2009/05/rudolf-steiner-and-golden-dawn.html?m=1
28 Peter Selg, Edith Maryon Rudolf Steiner und die Dornacher Christus-Plastik
29 „Gedenkworte für Charlotte Ferreri und Edith Maryon“, 3. Mai 1924, (GA 261)
30 Selg, S. 32
31 Selg, S. 35
32 Selg, S. 17
33 http://de.wikipedia.org/wiki/Hermetic_Order_of_the_Golden_Dawn
34 Wikipedia, dito
35 Wikipedia, dito
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