Anthroposophische Persönlichkeiten & Klassiker: Dr Julius Hartmann

aus den alten Egoisten

Der anthroposophische Sexualberater

Antworten auf aktuelle Lebensfragen von Dr. Otto Julius Hartmann (1) mit Verweis auf seine Biografie (2)


Dr. Hartmann antwortet auf nicht gestellte Fragen, indem er in einer Art anthroposophischem Credo am Ende seines Buches feststellt, dass wir Menschen des ausgehenden 20. Jahrhunderts „Freigelassene der Schöpfung“ und „mündig“ geworden sind. „Wir können in vielen Hinsichten Selbstgestalter unseres Lebens und Schicksals sein“. Wer wollte ihm da widersprechen ? Die Voraussetzungen und Begleiterscheinungen der Mündigkeit allerdings zeigen, dass unser Spezialist Dr. Hartmann doch eigenwillige, um nicht zu sagen neurotische Vorbehalte vor allem gegen die sexuellen Aspekte der Mündigkeit vorzubringen hat. Er fordert, dass wir nicht beim „Studieren und Manipulieren der erogenen Zonen und Lustprovinzen unseres Körpers“ beginnen, „um dadurch einander zum „Orgasmus“ zu verhelfen“. Dieses Gefummel kann uns, wie Dr. Hartmann meint, nicht nur nicht „glücklich“ machen, sondern wird uns vielmehr „in Depressionen und Lebensunlust hineintreiben“. Nein, nein, eben als mündige und glückliche Personen sollten wir uns vielmehr „in der staunenden Hingabe an Sonnenaufgang- und Untergänge“ üben, „an Wiesen und Wälder“, sogar in der liebevollen Betrachtung „von Menschen“. Aber rumfummeln an ihnen sollen wir nicht.

Es ist viel besser, lange abzuwarten, „bis wir den Partner finden, den wir so lieben können, dass für uns beide der Himmel offen steht und wir an sexuelle Funktionen und Organe zunächst gar nicht denken“. Dann, prophezeit Dr. Hartmann, wird sich der „weltweite geflügelte Eros“ auf uns „niedersenken (...)“ und endlich, „am Ende erst, unsere Leiber ergreifen“, ja dann sogar „wie ein Sturmwind“. Was Dr. Hartmann uns als Liebesspezialist rät, ist also die Erotik „von oben nach unten“. Diesen Dualismus pflegt er ausgiebig und von der ersten Zeile an, sogar expressis verbis: „Erotik von oben und von unten“. Und damit ist keine Anleitung zum Oralverkehr gemeint.


Erotik von oben und von unten


Mit „von oben“ her meint Dr. Hartmann: Von der Seite des Seelischen oder Geistigen aus, mit „von unten“ her: Als physiologischer Zwang. Ein solcher Zwang kann beispielsweise durch ins Großhirn implantierte Elektroden erzeugt werden, die bestimmte Gehirnpartien stimulieren. Bei basaler Stimulation können auch sexuelle Erregungen angeregt werden. Interessanterweise kommt Dr. Hartmann nun seitenlang auf psychotische Erscheinungsformen zu sprechen, wie z.B. „Zwangsgedanken oder Zwangsgefühle“, auf „Angst- und Verfolgungswahn“. Aber nicht nur die „sogenannten Geisteskranken“ beschäftigen ihn in diesem Zusammenhang, sondern auch manipulative Methoden von Diktaturen ­ beispielsweise durch den Einsatz von Drogen und Psychopharmaka. Er musste dies alles vorausschicken, um „die Probleme der modernen Erotik besser zu verstehen“. Denn auch durch diese werden wir „von unseren Organen manipuliert und vergewaltigt“. Welche verheerenden Auswirkungen kann beispielsweise das „Reiben der erogenen Zonen (Brustwarzen, Ohrläppchen, Nasenflügel, Geschlechtsorgane)“ haben! Die „Dikatatur der Physiologie und Chemie des (ist) des Menschen unwürdig“ und auch „zur Gestaltung einer Ehe absolut ungeeignet“.

Ganz anders die Erotik „von oben“, die mit dem „Erblühen einer zarten Liebe“ fern von „aller unmittelbaren Sexualität“ einhergeht. Bei solchem Erblühen etwas „mit diesen (den Geschlechtsorganen) zu unternehmen, erschiene wie eine Entweihung“. Dr. Hartmann steigert sich in abscheuerregende Bilder hinein: Diese heute herrschende „Vorherrschaft unseres Körpers“ vergleicht er mit dem tosenden Wildbach, der mittels „Stauwerken und Turbinen“ eingedämmt werden müsse - und nicht „bis zum äußersten“ ­durch Sex und „viel und gut Essen“ ausgebeutet werden darf. Dr. Hartmann strapaziert den Begriff der Technik: Die Römer hätten sich „nach üppigen Gelagen“ den „Schlund mit Federn zum Erbrechen“ gereizt, um sich zur „Fortsetzung des Gelages“ fähig zu machen. Nein, gottseidank: „So weit haben wir es heute noch nicht gebracht.“

Wahnsinn, Diktatur, Drogen, Fressen, Fummeln und Kotzen: Das sind, wenn man es auf den Punkt bringt, die Elemente der menschlichen Natur, die den Menschen nach Meinung von Dr. Hartmann „von unten“ her ergreifen und irgendwie, auf von ihm nicht zu klärende Weise miteinander zusammenzuhängen scheinen. Warum sonst sollte Dr. Hartmann alle möglichen Spielarten der Psychosen in einem Kapitel mit der Sexualität abhandeln ? Schließlich stellt er auf die beliebte Methode -durch bloße Nähe- einen Zusammenhang her zwischen dem "Reiben der erogenen Zonen" und psychotischen Ausnahmezuständen. Ob unser Sexualberater eventuell doch selber schlecht beraten ist ?


Onanie lähmt


Die „rein sexuellen Reize“, die mit den Geisteskrankheiten diffus zusammenzuhängen scheinen - vor allem ihr „starkes, isoliertes Hervortreten“ ­ lähmen die „wirkliche Liebe“. In besonders schädlicher Weise tritt dies natürlich in der Onanie zu Tage. In diesem Zusammenhang gibt es allerdings eine besonders verwerfliche Spielart, nämlich die „Onanie zu zweit“, in der zwei Wesen „ohne seelisch-menschliches Engagement“ nur „wechselseitig ihre erogenen Zonen, Drüsen- und Nervenfunktionen reizen“. Solche Perversitäten gehen natürlich nicht an. Hier werden die Körper ja gänzlich „ihren Eigenmechanismen“ überlassen. Da kann die menschliche Seele nicht mehr „Besitz ergreifen“. Pech gehabt. Das ist genau wie bei „Muskelkrämpfen (..) oder elektrischen Reizen“. Sex an sich führt also zur totalen Ent-Ichung.



Die Männer mit dem Männlein zwischen den Beinen und die nicht anständig inkarnierten Frauen


Männer und Frauen sind eben doch, wie Dr. Hartmanns goetheanistische Forschungen ergeben haben, verschieden: das zeigt sich schon an dem, was sich bei Männern als „Penis (membrum virile) mächtig entwickelt“. Das bleibt bei den Frauen als „Clitoris“ doch eher „klein und verborgen“. Frauen haben anstelle des vorgestülpten männlichen Skrotums „die äußeren Schamlippen“. Daraus folgert Dr. Hartmann, dass sich Frauen entsprechend „mehr nach innen, ins leiblich Unsichtbare“ entwickeln. „In manchen Hinsichten“ bleiben sie „auf früheren Entwicklungsstadien“ stehen, die Armen. Man kann sie zwar „kindlich“ nennen, was aber keinesfalls „als Negativum“ gemeint ist. Naja. Sie sind eben nicht anständig inkarniert. Aber dafür haben sie ihr „Geistig-Seelisches“ „stärker betont“, was ja an sich auch ganz nett ist.

Frauen müssen sich „zurückhaltender benehmen“ als Männer. Männer haben eben ihr vorgestülptes Skrotum und fühlen sich z.B. sehr wohl „von Dirnen befriedigt“. Das liegt nun einmal an den „vorgeschobenen Positionen von Hoden und Penis“. Man kann als Geistesforscher regelrecht davon sprechen, dass im „männlichen Geschlechtsapparat“ ein „für sich bestehendes und handelndes „Männlein““ existiert. Schon Goethe hat dieses Männlein als „Meister“ bezeichnet. Der kann sich mal „verweigern“, mal als „willig und sehr aktiv“ erweisen. Dieser „Meister“ lässt sich von Männern (von Frauen erst recht nicht) „nichts befehlen“. So ist das. Er hat einen „eigenen, oft schwer durchschaubaren Willen“.

Wenigstens bei Frauen können sich solche „Widersprüche“ - „schon aus anatomisch-physiologischen Gründen“ ­ „niemals ergeben“. „Brüste, Vagina, Clitoris“ sind „in keiner Weise als selbständige und eigenwillige „Weiblein“ (..) zu deuten“. Nur eines an ihnen besitzt den „Rang eines kleinen Menschen, eines Wesens: die Gebärmutter“. Denn diese „dient“ ja „einer selbständigen Menschenwesenheit“. Dr. Hartmanns Forschungen ergeben: Die Frau ist doch immer, auch wenn sie „ihren ganzen Leib einbeziehenden Zärtlichkeiten“ nicht abgeneigt sein mag, auf „Mutterschaft“ ausgerichtet. Den Mann dagegen beherrscht nun einmal „die Überfülle des Samens in seinen Hoden“. Die Ejakulation ist „Ziel und Gipfelpunkt der männlichen Erotik“. Danach verfällt der Mann in hemmungslose „Schlaffheit, Schwäche, Erschöpfung“. Dagegen betreibt die Frau, ihre Mutterschaft stets im Hinterkopf, den „Akt“ „vielfach als Liebesopfer“, hat oft sogar „dauernd eine gewisse Abneigung dagegen“. Man kann nichts dagegen machen- dafür sorgt die „ganze anatomische, physiologische und psychologische Organisation der Frau“. Ihr „mangelt“ es eben an dem Männlein oder „Meister“ des Mannes. Sie kann daher auch nicht verstehen, dass der Mann „mit anderen (oft zwielichtigen) Frauen sexuellen Verkehr pflegt“. Solches Verhalten wäre bei Frauen „gänzlich unweiblich“, ja sogar „unmöglich“. Sie ist bei jedem sexuellen Verkehr sogleich in eine „erotische Bindung“ gezogen, die ihr „ganzes Mensch-Sein ergreift“.

Der Mann aber ist zerrissen zwischen den Bedürfnissen seines Männleins und der minnehaften, madonnenartigen Verehrung eines angebeteten weiblichen Wesens. Das von ihm geliebte Wesen glaubt er „vor dieser Sphäre (den Regionen des Sexus) bewahren zu müssen“.


Die schädlichen Auswirkungen des zu häufigen Samenergusses


Ja, so ist das in unserer schweren Zeit. Heutzutage meinen sogar die Frauen, „gleichfalls Anspruch auf „Orgasmus““ zu haben. Sie kennen eben ihre eigene Natur nicht mehr, die mit der kleinen Clitoris und den eingestülpten Schamlippen doch hinreichend charakterisiert zu sein scheint. Sie wollen auch ihr kleinen Weiblein haben. Daher sorgen sie für Kleidungssitten, die durch das „aufdringliche Darbieten der Körperformen“ den Mann von ihrer Persönlichkeit offensichtlich derart ablenken, dass sein kleines Männlein sich regt. „Dadurch geraten die Frauen einerseits in Widerspruch zu dem, was sie selbst in der Liebe ersehnen, und verstärken andererseits im Manne die ohnehin schon breite Kluft zwischen Sexus und Eros, indem sie allzudeutlich nur den ersteren ansprechen“. Selber schuld, wenn sie damit die Männer verschrecken, die in ihnen doch nur „das „Ewig-Weibliche“, die „Himmelsjungfrau“ ersehnen und verehren möchten“. Kein Wunder, dass die Männer dann, wo sie auch gehen und stehen, ihr Männlein „stark und niederziehend in sich wirksam finden“...

Und wohin führt sie das ? Na ja, „allzu häufiger Samenerguss ist der geistig-gedanklichen Schöpferkraft nachteilig“. Dr. Hartmann ist überzeugt, dass man nicht alles haben kann: Eben entweder oben oder unten. Bedeutende Männer enthalten sich „in Zeiten besonderer geistiger Produktivität“. Allerdings nur dann. Das liegt eben daran, dass die Männer aufs tiefste durch de Koitus geschwächt werden- bis dahin, dass sie sich unmittelbar danach in den Schlaf retten müssen. Frauen dagegen werden durch die „geschlechtliche Vereinigung“ nicht in dem Sinne wie der Mann „beansprucht und geschwächt“. Im Gegenteil, sie sind danach in Regel sogar richtig munter. Dadurch stellt sich natürlich die Frage, ob sich der Mann denn wirklich in dieser Art überanstrengen sollte: „Muss es der Mann immer zum Samenerguss (Ejakulation) kommen lassen ? Kann er diesbezüglich nicht an sich halten ?“ Schön wärs ja, aber das Männlein „möchte zu seinem Recht kommen“. Dabei sollte dem Mann doch bewusst werden, dass jede goetheanistische Betrachtung einer Pflanze schon zeigt, dass diese durch „Rückstauung und Verwandlung niederer in höhere Kräfte“ beispielsweise zur Blüte gelangt. Rückgestaute Fortpflanzungskräfte führen ­wie Dr. Hartmann kühn analog folgert- zu Kräften „der Intellektualität und einer personhaften Seelenhaftigkeit.“ Sex macht also nicht nur blöd, sondern auch hohl. Frauen sind davon natürlich ausgenommen, da sie eigentlich gar keinen Sex haben. Bei einer gemeinsamen „gesteigerten erotischen Liebeshingabe“ kann man durchaus „den Samenverlust verhindern“. Männern würde das ihre schreckliche „Schwäche und Abspannung“ ersparen und ihnen sogar „einen geistig-gedanklichen Höhenflug ermöglichen“. Man kann also keinesfalls behaupten, dass „Enthaltsamkeit (..) ungesund“ sei. Falls das Männlein bei einer „eventuell vorhandenen Überfülle an reifen Spermatozoen und sonstigen Sekreten“ gewisse Tribute verlangt, dann soll es sich doch „in nächtlichen Entladungen (Pollutionen)“ entspannen. Der Mann soll „geschlechtliche Reize“ dann eben meiden.


Vorbeugendes Nachwort


So weit Dr. Hartmanns Antworten auf aktuelle Lebensfragen. Um eventuellen Nachfrage zuvorzukommen: Nein, Dr. Hartmann praktiziert nicht mehr. Er ist nicht krank oder irgendwie benachteiligt. Er hat vielmehr als Dozent für Biologie und Naturphilosophie an der Universität Graz gelehrt. Er hat diese Elaborate tatsächlich in einem anthroposophischen Verlag (Die Kommenden) publiziert. Heute ist nicht der erste April. Dr. Hartmann hat unseres Wissens keinen gesonderten Vortrag über das „Männlein“ publiziert, was wir sehr bedauern.

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1 Aus: Hartmann, Bedeutsame Seelenprobleme in der Welt von heute, Freiburg 1981
2 Link http://biographien.kulturimpuls.org/detail.php?&id=308