Die Korruption sich selbst gegenüber. Meister Bankei im Gespräch zu Jähzorn, Selbstbespiegelung und Illusionen

„Ein Mönch sagte zu Bankei*: 

Ich bin jähzornig geboren- ständig aufbrausend. Mein Meister hat mir deswegen viele Vorhaltungen gemacht, aber das hat daran auch nichts geändert. Ich sollte irgend etwas daran tun, aber ich bin nun mal mit diesem Temperament geboren. Egal, wie sehr ich es zu überwinden versuche: Ich kann es doch nicht ändern. Ich hoffe, dass ich mich mit deinen Lehren irgendwie kurieren kann. Erst dann möchte ich nach Hause gehen, um meinem Meister unter die Augen zu treten und um daraus Nutzen zu ziehen. Sag mir bitte, was ich tun soll.

Bankei: Das ist eine bemerkenswerte Erbschaft. Ist deine Wut gerade anwesend? Zeig sie uns. Ich werde dich heilen.

Mönch: Ich bin gerade nicht wütend. Diese Stimmungen kommen unvermittelt hoch, wenn mich etwas herausfordert.

Bankei: Nein, du bist damit nicht geboren. Du erzeugst es selbst, wenn dir gerade eine passende Ausrede einfällt. Woher sollten deine Stimmungen kommen, wenn nicht aus dir selbst? Du lässt diese Launen zu, weil du dir selbst gegenüber befangen bist. Du benutzt Andere, um deinen eigenen Willen zu haben. Dann beschuldigst du auch noch deine Eltern, sie hätten dir den Jähzorn aufgehalst. Was für ein respektloser Sohn du bist!

Jeder Mensch erhält bei seiner Geburt das Buddha- Bewusstsein von seinen Eltern. Die Selbsttäuschungen erzeugt er ganz allein, in Voreingenommenheit sich selbst gegenüber. Es ist dumm zu denken, so etwas sei angeboren. Wo soll der Jähzorn denn herkommen? Diese Art von Illusionen sind alle gleich; sobald man sie nicht mehr am Leben erhält, verschwinden sie einfach. Aber Jeder scheint darin zu versagen, dies zu erkennen. Man findet diese Illusionen bei sich vor, aber man produziert sie auch, aus egozentrischen Sehnsüchten und verblendeten intellektuellen Gewohnheiten heraus. Man meint, dies sei in einem verwurzelt, obwohl dies keinesfalls stimmt. Aus diesem Grund überlagert die Selbsttäuschung alles, was man tut. 

Du musst deine Illusionen zärtlich pflegen, weil du das Buddha- Bewusstsein in sie verwandelst. Das ist die Korruption sich selbst gegenüber. Wenn du den wahren Wert des Buddha- Bewusstseins kennen würdest, könntest du selbst dann nicht mehr in diese Selbsttäuschungen verfallen, wenn du es wolltest. Mach dir eines ganz klar: Wenn du nicht in der Selbsttäuschung fest hängst, bist du Buddha, ja bist du erleuchtet. Es gibt keinen wirklichen anderen Weg zu Buddha. Mach Schluss damit, hör mir zu und verstehe, was ich meine.

Du schaffst die Ausbrüche deines Jähzorns ganz allein, wenn deine Sinne durch äußere Umstände provoziert werden. Du wirst dadurch angespornt, dich gegen andere Leute aufzulehnen, um deine tollen eigenen Gedanken durchzusetzen. Wenn die Bindung an dein Ego nicht mehr da ist, verschwinden diese Illusionen von selbst. Mach dir das klar.

Alles, was deine Eltern dir mitgegeben haben, ist das reine Buddha- Bewusstsein. Nichts sonst. Was hast du damit angestellt? Seit du ein Baby warst, hast du Andere beobachtet und hast gesehen, wie diese ihr Gleichgewicht verloren haben. Du bist darin erstklassig geschult und hast dich an den Jähzorn gewöhnt. Das gehört nicht von Natur zu dir. Du verhätschelst dich einfach selbst, wenn du dir erlaubst, deiner Wut nachzugeben. Wenn du nun merkst, dass das ein Irrtum war und wenn du diesen Gefühlen einfach nicht mehr erlaubst, derartig auszubrechen, wirst du dich auch nicht über sie zu beklagen haben. Aber statt zu versuchen, daran ernsthaft zu arbeiten, lässt du dich weiter gehen. Du machst es dir leicht, nicht wahr? Wenn man hinterher versucht, solche Probleme zu lösen, ist das so schwierig wie vergeblich. Werde einfach nicht wütend, dann musst du auch nicht versuchen, daran herum zu basteln. Es gibt nichts, was man „heilen“ müsste.

Wenn du das verstanden und abgestellt hast, werden Selbstbespiegelungen und Illusionen nicht einmal mehr möglich sein, wenn du es wolltest, da du dauerhaft in der Ungeborenheit, dem Buddha- Bewusstsein, lebst. Sonst ist darüber nichts zu sagen.“


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*Bankei (1622-1693) in Norman Waddell (Übersetzer): The Unborn. The Life and Teaching of Zen Master Bankei (1622-1693), San Francisco 1984. Textstelle frei übersetzt von M.E.