Ole Nydahls Bardo nach dem Tod - "Crazy Wisdom"



Ole Nydahls buddhistisch- lamaistischer Weg in ein befreites, zumindest angstfreies Sterben (1) zeichnet zugleich und notwendigerweise die Anleitungen eines sehr traditionellen tibetischen „Diamant“ - Weges der Meditation nach. Notwendigkeit dazu ist ein reales, tiefes Meditieren, ein Vertrauen in bestimmte Bilder oder sakrale Gegenstände -wie den schwarzen Hut des Karmapa-, eine sanfte, zurückhaltende, aber auch ehrliche und produktive Lebensführung, und -eventuell- die Begegnung mit und Segnung durch einen Lama. 

Eine hingebungsvolle, umfassende Gefolgschaft gegenüber einem geistigen Lehrer wie Ole Nydahl würde den Sterbeprozess und das nachtodliche Leben in den verschiedenen Stufen zumindest deutlich erleichtern- so stellt er es da. Auf der anderen Seite ist der dänische Lama Nydahl selbst umstritten, seine Bewegung von Austritten ranghoher Mitglieder und Lehrer geprägt, die die radikale politische und offen rassistische Positionierung des Lama mit dessen fortschreitender Alzheimer- Erkrankung erklären: „A rather strange atmosphere of panic has risen everywhere among the followers of Ole Nydahl. Quite a lot of them deceive themselves in thinking, that he is not sick, but display ‘crazy wisdom’. This is in itself a tragedy within the tragedy. And a lot of people have become ridiculous in the eyes of the world.“ (2)

Wie so oft, liegt das Heikle aber auch in den okkulten Karma- Betrachtungen Nydahls, der einige kausale karmische Folgen mit rassistischen Untertönen aufzählt, die ich aber hier nicht ausführen möchte.

Insgesamt hat die Lehre, in deren Mittelpunkt das Sterben auch als Möglichkeit zur Vollendung steht, viele rationale und pragmatische Züge. Schließlich ist die Welt des Baldo, in der jedes Individuum nach seinem Tod eintritt, weder durch Götter, Engel oder Teufel geprägt, sondern stellt eine Ausstülpung, eine Blase des Denkens, Fühlens und Handelns des Individuums selbst dar, das dieses jetzt, ohne leibliche Sinne und Rückmeldungen eines Körpers, als seine „Welt“ wahrnimmt. Innen- wird zur Außenwelt, wenn die Sinneswelt entfallen ist. Je illusionärer, gieriger, verlorener das leibliche Leben geführt wurde, desto bedrückender oder verrückter die Blase. Chronische Lügner sind praktisch wie in einem Panzer gefangen. 

Aber jede seelische Eigenheit erzeugt ihre eigene Hölle, und Nydahl kennt sie offenbar alle. Er beschreibt sie auch gern und breit, bis in die Winkel ihrer Eigenheiten. So schildert er die scheinbar himmlischen Freuden der Gutmenschen, die ihr Leben in Fürsorge für Andere geführt, aber dabei ihr Ego gefüttert und Eitelkeiten entwickelt haben: Diese Eitelkeit führt in ein leibfreies Bardo, in der sie unendlich gesteigert wird, um ein kitschiges Pseudo- Himmelreich zu schaffen, das scheinbar endlos und zeitlos der guten Seele jeden Wunsch erfüllt. Selbst in der Hölle des ewigen Bauchpinselns kommt aber der Moment, in dem sich der Gutmensch frage, ob es das nun gewesen sei. Dann wird ihm Einblick gewährt in ein kommendes Leben, das so gewöhnlich ist wie das von Milliarden anderer Menschen, und der glamouröse Palast der Eitelkeiten fällt in sich zusammen. Diese Art von Selbstbegegnung des Toten, die etwa zehn Tage nach dem tatsächlichen Versterben einsetzt, und die eine Phase des Kamaloka - der Selbsterkenntnis und Selbstablösung- darstellt, schildert Nydahl anschaulich und interessant. 

Es gibt einen Berührungspunkt zwischen dem Bewusstsein im Körper und dem nach dem Verlassen des Körpers; das Selbst- Gewahrwerden in der meditativen Tiefe ist nach Nydahl eine Erfahrung der Präsenz, eines ewigen Bewusstseinskerns, der in der Aufmerksamkeit lebt und eigentlich nicht ich- bezogen, nicht körper- abhängig und frei von Bildern und Zuschreibungen des Ego ist. In dem Augenblick des Gewahrwerdens erscheint ein wie von außen kommendes Licht, in das der Meditierende hinein fließen kann- eine Todes- Erfahrung am meditativen Scheideweg, in der absoluten Stille. Nydahl schildert das so: „The best preparation for this moment is having confidence in the teaching and practicing the melting phase in daily meditation. If one succeeds in dwelling in the naked awareness of the experiencer and simply being “the perception itself,” undisturbed by mixed feelings, expectations, or sensory impressions, this is a first-class preparation for extending the arising Clear Light into the boundless, twenty to thirty minutes after the last breathing-out. Devotion and trust in enlightenment here give power, and whoever can stand for himself, because he thought, said, and also did the same thing and matured beyond-personally through love, has the opportunity in the intermediate state to realize the true nature of mind and ultimately to dwell in the so-called Truth State of mind.“ Nydahl spricht an dieser Stelle tatsächlich vom erfüllten, bewussten Sterben. Die Meditation muss aber im Körper über längere Zeit angelegt, geübt und vertieft worden sein, um das „Schmelzen“ des Ich und das Empfangen des Lichts in sich zu ermöglichen und zu pflegen. 

Andere, spezifisch für den Sterbenden angelegte Meditationen wie der schwarze Hut des Karmapa führen über Symbole wie Sonne und Mond in den weiten schwarzen Raum des Kosmos hinein- eine Weite, die ein Mensch ohne Übung und Gewöhnung nicht ertragen kann. In diesem Sinne sind alle Meditationen notwendige Übungen hinein in das Unabwendbare- das, was die eigentliche körperlose menschliche Existenzform darstellt. 

Der strenge, oft harsche Lama Nydahl verbindet mit den meditativen Übungen bestimmte seelische Haltungen wie Realismus, Engagement und strikte Ehrlichkeit- auch gegenüber sich selbst. Das Sich- Drücken vor unangenehmen Fakten und das Fliehen in Ausflüchte führt zu grundsätzlichen Hindernissen, selbst wenn jemand meditativ geschult in die Todeserfahrung ginge: Eine solche Person würde das Licht nur als destruktiven Blitz nach langer Dunkelheit erfassen können: „Whoever lived with little consciousness, then experiences only a terrifying flash of one's inherent wisdom after the darkness. Living without conviction and other kinds of cowardice are hereby fundamental obstacles for any realization, as is the tendency to hide from unpleasant facts or to leave the problems to the offspring.“

Für die völlig Ungeübten (oder die, die nur von geistigem Leben geredet, aber es nicht praktiziert haben), ist die Wahrnehmung des Lichts nach dem Tod eine Tragödie, eine nicht zu ertragende Erfahrung, da diese Unmittelbarkeit, Weite und Transparenz für ein nur in sich bespiegeltes Bewusstsein schlicht nicht auszuhalten ist: "In short, the experience of the timeless Clear Light is often so unfamiliar and powerful for non- meditators that they cannot stand it. If in death one backs off from the automatically enlightened vastness of space and its radiance, a deep unconsciousness, similar to a huge wave, crashes over one.“ Die ungeteilte Wahrhaftigkeit, das Bestehen- Können im non- dualen Strom des Bewusstseins, das Abschälen der Selbstbilder, die vollständige Nacktheit muss man ertragen lernen- ansonsten werden die Kräfte des illusionären Unterbewussten mit aller Dunkelheit über den Verstorbenen hinein brechen.

In der Praxis, Verbindung zu schaffen zwischen meditativer Übung und dem nachtodlichen Gehen durch das Bardo gibt es auch noch ein wichtiges Element, die Welt der (in diesem Fall buddhistischen) Symbolwelt so zu verinnerlichen, dass diese im leibfreien Zustand nach dem Tod auch ohne sinnliche Umwelt vor Augen stehen und als Begleiter und Orientierung dienen kann, und zwar im Bewusstseinslicht selbst: „It is more important that one meditates on a particular buddha form during life, repeats his mantra, and enjoys the building-up phase. In the intermediate state of suchness this buddha form will manifest as a self-arisen expression of mind. One doesn't have to imagine it anymore. It is the directly shining experience (the Clear Light of the Joy State). If one has recognized it, one melts with it and thus gains liberation.“ 

Man möchte ergänzen, dass es nicht Mantren und Symbole sein müssen- es gibt auch ein meditatives Flair, ein Gefühl des Flows, eine Würze oder eine unbestimmbare, Glück verheißende Süße, die einfach tragend und typisch sind. Möglicherweise haben Menschen ganz unterschiedliche „Flairs“ - ein Wittern und Empfinden, dass der Wind eingesetzt hat und das Boot in die richtige Richtung treibt. Apropos Wind: Ole Nydahl betont auch an dieser Stelle, wie schädlich Wankelmütigkeit, Fähnchen nach dem Wind richten, Unaufrichtigkeit im realen Leben sich auf den Toten und seine geistige Blase auswirken. Auch das Loslassenkönnen von diversen schmerzhaften Erfahrungen und Gefühlen gehört dazu, denn man hängt dann nicht daran wie mit Ketten gefesselt, es ist unpersönlich geworden: „Now it depends on which impressions one has collected in the past life in one's store-consciousness and, above all, whether one has honestly stood by one's convictions. It is also important how well one has learned to let experiences pass by and to see them as beyond-personal.“

Insgesamt aber gilt, dass das emotionale Setting, mit dem man sich im Leben umgibt, einen nach diesen Lehren nach dem Tod nicht nur begleitet, sondern komplett umhüllt. Zudem hat die eigene geistige Unreife, dieselbe Note, was Geschmack und Geruch betrifft: Unreife und Verwirrung strömen den spezifischen Dunst aus, den sie auch zu Lebzeiten hatten: „The mental confusion has exactly the same emotional tone as in the last life.“  Die treibenden Kräfte hinter den persönlichen Dramen sind die, die Nydahl immer wieder nennt: Bequemlichkeit, Schuldverschiebung, Kopf-in-den-Sand-stecken: „The constant striving for happiness, wanting to avoid pain, clinging to what is pleasant, and having to endure what is unavoidable—all of this keeps the mind occupied.“ Das davon „besetzte Bewusstsein“ lässt es zu, dass die herrschenden emotionalen Muster das Individuum auch nach dem Tod gefangen halten. Diese sind breit gefächert, von der Wut bis zu Besserwisserei und Stolz: „pride and always knowing better, jealousy and resentment, desire and attachment, confusion and dullness, as well as the realms of stinginess and greed and the whole range of aversion, anger, and hatred.“

Lügner, Herdentiere und Menschen, die brav über jedes Stöckchen springen, sind in Lama Ole Nydahls Panoptikum Vertreter der ersten und größten Hölle: „Whoever consciously lied during the last life to harm others, always stayed calculating in his opinions, and followed the herding instinct, or only strived for the stupidest and roughest stimuli, without using the possibilities of mind, will after death not be able to cope with the vastness of space and its impressions, which appear as images.“ 

Ansonsten gilt hier wie da drüben die einfache buddhistische Regel: „Confusion brings little joy after death.“

In diesem Sinne: Gute Reise! 


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1 Fearless Death - Buddhist Wisdom on the Art of Dying by Lama Ole Nydahl o.S. Leider liegen bei meiner Kindle- Buchausgabe keine Seitenangaben vor

2 Lama Ole Nydahl suffer from severe Alzheimer dementia in https://www.tilogaard.dk/english/html/Ole_Nydahl_suffer_from_severe_alzheimer.html