Zur Esoterik des Denkens und Handelns nach Georg Kühlewind. Die spirituelle Ökonomie
Wahrscheinlich fühlt es sich ungewohnt an, diese anthroposophische, intellektuell wirkende Art der Vorbereitung ernsthafter Meditation- vor allem, wenn sie sich einem Gedanken widmet wie hier bei Georg Kühlewind so formuliert:
„Wenn man einen Gedanken «beobachtet» - das vergangene Denken, das, im Gegensatz zu den Gefühlen, in seiner Vergangenheit bleiben* kann -, wenn man das Gedachte beobachtet, gewinnt man erstens den Eindruck: Es ist da, unabhängig von seiner Erscheinungsform, von den Worten, vom Satzbau und so weiter, es ist eine Wirklichkeit.“
Vielleicht ist die Erfahrung wesentlich, dass die Objektivierung eines Gedankens - das aufmerksame Gegenüberstellen und aktive Analysieren - sich immer auf ein vergangenes Denken bezieht- die Aktivität liegt in der Betrachtung, während das beobachtete Objekt - der Gedanke- zunächst fest umrissen, fertig, vergangen wirkt. Je mehr man sich im vor- meditativen Denken - über- das- Denken allerdings beschäftigt mit dem objekthaft scheinenden Gedanken, desto größer und weiter wird der Kontext, dem der Gedanke entsprang und - seiner Bedeutung nach- entspringt, desto umfassender und genereller wird sein Sinn, seine Abgrenzung, der kulturelle Hintergrund. Der Gedanke erscheint als Zuspitzung einer aus einem weiten Umfeld entsprungenen sinnstiftenden Intention, die in einer bestimmten Situation und in einem bestimmten Kontext diese Form angenommen hat. Manchmal kann man denn kulturellen Hintergrund, die Herkunft, die Widersprüchlichkeit, die Brüche eines Gedankens erkennen, wie viele Menschen er bewegt, zu welchen Revolutionen oder Umbrüchen er beigetragen hat. Dieser Gedanke, den ich betrachte, entspringt einem Feld von Bedeutungen, Sinngebung und Zweck, bewirkt Widerstände, war vielleicht einmal Symbol, Status, ja hatte einen Anteil an der Geistesgeschichte. Insofern ist der betrachtete Gedanke „eine Wirklichkeit“.
So kommt man an den Punkt, vorwärts und rückwärts, allgemeiner und spezifischer diesen Gedanken in seiner spezifischen Ausformung zu sehen, wobei der große Impuls, die Intuition, der Kontext und die Verbindung mit dem Menschen selbst zumindest aufleuchtet: Aber es gibt auch die Zuwendung zu sich selbst, zur beobachtenden Instanz, dem Denken des Denkenden, denn in der meditativen Betrachtung ist die Aktivität selbst, der Grad der Konzentration und Hingabe immer stärker geworden- eine Aktivität, die als reine Gegenwärtigkeit im Geist erfahrbar wird, sofern die Betrachtung ihrer selbst gewahr wird: „Mit dieser Beobachtung beginnen die Schritte rückwärts, in Richtung des Entstehens des Gedachten; die beobachtende Instanz ist schon, wenigstens für Augenblicke in der Gegenwärtigkeit.“
Mit diesem Umwenden auf die Aktivität selbst sinkt das meditative Erleben in eine körperlose Präsenz, die zugleich mit einer gewissen Selbstvergessenheit einhergeht: „Wird die Bewegung rückwärts intensiv genug, so kommt man zum Denken, zum Prozess, das heißt in die Gegenwärtigkeit der Intuition.“
Die Intensität, die einsetzt ist spürbar und typisch; sie besitzt eine gewisse Dichte, die später wiedererkennbar wird. Man kann dabei „die Zeit vergessen“, fühlt sich nicht über die Sinne angesprochen, ist in der Wirklichkeit reiner Aktivität. Intuitiv ist auch klar, dass diese Intensität keinen Anfang und kein Ende kennt, dass die Produktivität der Beginn des Eintauchens in eine schaffende Welt ist, die den Kernbereich menschlichen Seins ausmacht.
Glücklich, wer in dieser Hingabe die wie von außen einsetzenden Licht- Wellen erkennen kann, das Eintauchen in ein typisches Pulsieren, in dem sich die intuitive Lichtwelt zu erkennen gibt und nah und näher an das Ich heran kommt. Die wirkliche Meditation beginnt an diesem Punkt, an dem das Licht, das die atmende, lebendige Seite des Geistes darstellt, tatsächlich konstituierend in den eigenen Organismus eintritt: Manna, Nahrung, konstituierende Erkenntnis. Wenn es denn möglich sein sollte, setzt die Erfüllung an der Stirn ein, pflanzt sich durch die Chakren fort, als Teil der Kundalini- Erweckung, aber in der beschriebenen spezifischen Richtung. Auch dieses - wie der Umgang mit den Chakren- ein vorübergehendes Phänomen, dem der Übende nach einer gewissen Zeit keine Aufmerksamkeit mehr schenkt. Die spirituelle Ökonomie gebietet, nicht solchen Phänomen zu viel Platz zu gewähren.
Aber das Zurücklehnen, Anschauen, Erfülltwerden und die Hingabe können auch andere Ebenen berühren und in das Erfahrungsfeld hinein bringen,- immer im klaren Licht des Erkennens und in der Transparenz des Lichts- im - Licht: „Setzt man die Bewegung fort, dann erlangt man das noch größere Licht des Fühlens, eine Wolke des erkennenden Fühlens, den Ursprung des Denkens, aus dem der Gedanke geworden ist. In diesem Produkt, in seinem blitzartigen Zustandekommen wirkte diese Gefühlswolke mit.“
Nun sind an diesen Nahtstellen viele Möglichkeiten da. Es ist kein lineares Geschehen, und nicht einmal die Imaginationen bleiben die gleichen. Es bleibt ein Empfinden, nah an einem Geschehen zu sein, das sich wie Wolken ballt, ein Blütenmeer, ein sehr sinnlich erlebter Quell, ein süßer, verheißungsvoller Duft nach Frühling- kurz, das, was einst als Kore, die Frühlingsgöttin, Demeter Göttinnen- Gestalt hatte. Die Bilder, die diese Stelle begleiten können, können auch eine gewisse Zeit wie ein festes Signal oder Ritual Bestand haben- aber dann doch wieder verschwinden. Ich habe Jahre lang, wenn es überhaupt hierhin kam, inmitten einer in sich entspringenden Wolkenwand gestanden, was dann wieder vollständig verschwand. Es gibt auch eine spirituelle Ökonomie, nicht zu sehr an Imaginativem oder an Ritual und Gewohnheit zu hängen, denn dies sind halt doch nur Begleiterscheinungen.
Wichtiger ist das „größere Licht des Fühlens“ als solches zu erfahren- denn diese „großen“ Empfindungen liegen so nah am Kern des Wesens und der Erkenntnis, dass es sich um eine ganz andere Kategorie als das schattige Alltagsgefühl handelt- es sind auch keine Empfindungen, die ein Mensch "hat", sondern solche, in die er eintritt; das erkennende Fühlen ist ein substanzielle Macht, die durch die eigene Mitte verläuft- ja, diese Mitte ausmacht, aus dieser Mitte in weitem Umkreis ausstrahlt. Das Gewichten, Verstehen, Verdichten des Denkens entspringt diesem Empfinden. Ohne eine Verankerung des Wesens in dieses abwägende Fühlen ist das Ich auf hoher See jeder Ideologie ausgeliefert. Man kann sich nur immer wieder - in der absoluten Leere- der Nähe zu diesem inneren Strom vergewissern. Diese kann begraben, verschüttet, entstellt, korrumpiert sein. Es gibt keine Sicherheit. Es gibt keinen Besitz. Es gibt nur - vielleicht- die Sehnsucht, den Wunsch und Willen, sanft und wahrhaftig zu werden und in diesen Situationen zuzulassen, dass das helle Fühlen in meiner Mitte ein wenig vernehmbar wird.
Und dann der weite Blick, tief hinunter ins Tal- ein unverstelltes Schauen in das noch unaufgelöste Wesen, das Keimgebiet, die vollständige Ungeborenheit, die noch keine Gestalt angenommen hat: „Schreitet man noch weiter rückwärts, gelangt man zu einem Willenskeim, der die fühlende und denkende Gestalt noch aufgelöst in sich trägt, zu einem Licht-Willen, in dem sich zu artikulieren, autonom sich zu bewegen und zu gestalten das menschliche Ich einen langen Weg der Fähigkeits- Entwicklung und der Stärkung zurücklegen muss.“
Und selbst diese Perspektiven, die Kühlewind aufzeigte, sind nur die Anfänge, die er mit Hilfe der Anthroposophie skizzierte:
„Der Weg endet hier nicht, er erstreckt sich weiter nach oben. Der einzelne Gedanke ist immer ein Teil des nach oben hin sich fortwährend ausbreitenden universellen Lichtes. Je höher der menschliche Geist wahrnehmungsfähig wird, umso allgemeiner wird die Sinnesgestalt, bis zu dem obersten Punkt, wo alles in einem Augenblick «verständlich» wird, die ganze Welt in ihrer räumlichen und zeitlichen Mannigfaltigkeit, wo Gegliedertheit und Einheit zusammenfallen und ungestört nebeneinander bestehen.“
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Alle Zitate aus Georg Kühlewind Die Esoterik des Erkennens und Handelns in der Philosophie der Freiheit und der Geheimwissenschaft Rudolf Steiners, S. 47f. Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2009
*im Original nur kursiv gesetzt