Vom Gehen der Berge und vom Kommen des Buddha- Geistes

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Warum über das Unsagbare sprechen? Warum Worte über das Nichts verlieren? Warum dem Bedeutung verleihen, das vollkommen in seiner Nicht- Bedeutsamkeit ist?

Diese Fragen sind tausend Jahre alt, tausendfach besprochen, ausgeführt und beantwortet, aber dennoch so offen wie eh und je. In „Das Shobogenzo des Dogen Zenji“ (1) bespricht Dagmar Doko Waskönig Texte und Lehren des frühen japanischen Zen- Lehrers Dogen Zenji (1200 - 1253) und macht sie damit der deutschen Öffentlichkeit zugänglich- immerhin wird Zenji in Japan in etwa die Bedeutung zugeschrieben, die zeitgleich Martin Luther für den deutschen Sprachraum gehabt hat.

Trotz der erheblichen Probleme, die die zeitgenössische Übersetzung der mittelalterlichen buddhistischen Miniaturen mit sich bringen, da viele denkbare Bedeutungsfelder in jedem Begriff mitschwingen, wirken die originalen Texte frisch, unverbraucht, aber auch so rätselhaft, dass Waskönig breite und weite, umkreisende verbale Erläuterungen vornimmt. Jede Silbe der Originale ist bedacht gewählt, was die Übersetzung dazu zwingt, Schwerpunkte zu setzen: „Jijuyu bedeute, dass ein Erwachter in sich selbst (ji) die Freude des Erwachens erlange (ju) und benutze (yu).“ Diese im frühen Zen betonte freudige Aktivität des Geistes schließt das eher passive europäische „Intuition haben“ oder „Erleuchtung erlangen“ aus - es ist auch kein Schritt auf etwas zu, kein Weg zu etwas hin- es ist auch kein Zustand, der willentlich durch Selbstüberwindung zu erreichen wäre, denn es ist alles immer schon da: „Dieser Dharma ist im Überfluss in jedem Menschen vorhanden, doch wenn man nicht praktiziert, manifestiert er sich nicht. Wenn es keine Verwirklichung gibt, wird er nicht erlangt.“ (2)

Damit sind die jedem Praktizierenden seit Urzeiten vor Augen stehenden Widersprüche angesprochen: Es ist alles vorhanden, bleibt aber angreifbar, verbirgt sich, ist verschüttet. Die Übung selbst kann den Blick auf den Ursprung verstellen. Aber ohne Übung ist Verwirklichung auch nicht zu erreichen. Die Verwirklichung entzieht sich dem, der sie erlangen will. Aber dennoch: „die wunderbare Praxis abwerfen“, um das „ursprüngliche Erwacht- Sein unsere Hände“ (3) erfüllen zu lassen, kann nur der, der vorher praktiziert hat. Das „ursprüngliche Erwacht- Sein“ stellt sich auch nur als ein Stadium heraus, in dem eine unerschöpfliche „wunderbare Praxis unseren Körper“ durchdringt. Man sollte, wie an so vielen Stellen der originalen Texte, genau lesen. Das Durchdringen und Wirken der Praxis (des Schaffenden) in unserer Leiblichkeit ist tatsächlich ein direkt mit der Meditation auftretendes Phänomen, das systematischen Charakter hat- d.h. Praktizierende können sich darüber austauschen. Es hat, andernorts, Begrifflichkeiten gewonnen wie "Weben des Hochzeitskleids", Ausbilden und Gestalten der "ätherischen Leiblicheit" oder der Lotosblüten. In dieser Hinsicht wörtlich nehmen kann man auch Hinweise in den Originaltexten in Bezug auf die "Erfüllung" der Hände.

Der „Anfänger- Geist“ (über den Waskönig immer wieder rätselt), ist meiner Meinung nach eher nicht - wie sie interpretiert- der energiegeladene, hoch motivierte Novize, sondern der Geist, der immer Anfang ist, immer reine Präsenz; indem dieser sich realisiert, erhalten „alle Dinge ohne Ausnahme das Buddha- Siegel“ (4). Erlebt wird das präsente Ich als Zustand, in dem „Körper und Geist wirklich abgeworfen“ sind, in dem „das Wirken der ichbezogenen Strebungen wie von selbst“ abgeklungen und in dem im Augenblick spürbar „alles Tun von karmischer Wirkung frei“ (5) ist. Das bedeutet wohl: Die verstellenden, belastenden, Persönlichkeits- gebundenen Faktoren sind in diesem Augenblick in ihrer determinierenden Wirkung überwunden.

Der Anfänger- Geist, möchte man sagen, ist bei jedem Anfang dabei- daher lässt er sich belehren von den „Wohltaten von Wind und Wasser“ (6), und „Bäume, Gräser und das Land .. predigen den tiefgründigen und unfassbaren Dharma“- und das „geschieht ohne Ende“ (9). Ein Christ, könnte man anfügen, könnte in diesen wogenden Predigten von Land und Wasser die sanften, aber bestimmten Schritte des Gärtners ahnen, der den atmende Lebensbereich im Durchschreiten segnet, erneuert und durchlichtet- und auch das "geschieht ohne Ende". Tatsächlich sieht auch Zenji ein „helles, leuchtendes Licht“ im Strahlen der natürlichen Elemente- dieser elementare Segen durchdringt nicht nur den Anfänger- Geist, er ist der Geist selbst: So die Erfahrung des Zen, so die Erfahrung des modernen Christen. Der Logos der natürlich geschaffenen Welt und der der aktuellen Erkennens berühren sich, offenbaren sich gegenseitig und erwecken den ewigen Anfänger- Geist- und auch das "geschieht ohne Ende".

Wie aber lässt sich das Nicht- Denkbare denken? Wie das Nicht- Übbare üben? Wie das Nicht- Sagbare sagen? Dogen Zenji zitiert einen Meister aus dem 8. Jahrhundert: „Der Mönch fragte: Wie kann man nicht- denkend denken? Der Meister erwiderte: Mit dem Undenkbaren.“ Das Nicht- Denken, erläutert Zenji, sei „das Denken des Wie (8). Dieses „Wie“ als das „unbeschreibliche Erfahren der Dinge“ berührt eine Ebene, die in Rudolf Steiners Mantren auch als der „Strom des Welt- Geschehens“ (9) bezeichnet wird: Eben die Ebene, auf der Natur und Geist miteinander verschränkt sind und sich daher gegenseitig erkennen und enthüllen.

Ja, auf dieser Ebene wird der Mensch, indem er „im Welt- Geschehen“ nicht- denkend denkt, erst wahrnehmbar. In vielerlei Hinsicht erwacht seine Existenz zur Realität; er wird, indem er sich vergisst und übersteigt, geistiger Welt-Bürger. In den Worten Zenjis ist dieser Akt ein „Aufrichten“ - das „Gleichgewicht von Körper und Geist aufzurichten (..), den Buddha (..) aufzurichten, den Kopf und den Lebensstrom aufzurichten.“ (10) Die Selbst- Aufrichtung ist tatsächlich unmittelbar vergleichbar mit dem Stehen und Gehen- Lernen des kleinen Kindes. So wie das Kind seine Schritte in die Welt zu setzen lernt, versteht der Praktizierende meditativ „sofort über die ganze Welt hinauszugehen und ein großes, verehrungswürdigen Leben im Hause der Buddhas und Dharma- Ahnen zu leben.“ (11).

Und: Erhöht das den Menschen? Nein, es ist nur ein Zulassen.
Glorifiziert es das Ego? Nein, es ist eine Erfahrung existentiellen Menschseins.
Erleichtert es den Gedanken an den Tod? Nein, die Schmerzen des Kommens und Gehens, des Erscheinens und Verschwindens bleiben bestehen.
Gibt es dir einen höheren Sinn? Nein, es bringt den Geist und die Welt zum Stillstand, damit ihre Schönheit zutage tritt. Es ist ein Akt der Liebe, der Hingabe und des Respekts.

In den Worten Zenjis realisiert der Anfänger- Geist lediglich, dass das in ihm, das existentiell stört, zum Schweigen kommt: „Der verkörperte Buddha bringt keinen Buddha hervor. Doch wenn die Netze und Käfige zerbrochen sind, stört ein sitzender Buddha nicht länger das Hervorbringen eines Buddha.“ (12) Die geistige Verzerrung und Verbannung, die Dislokation und Entfremdung wird gemildert, indem ein sanfter, empfangender Wille sich entfalten kann, der sich selbst als ewiger Anfang, als initiativ und durch nichts zu brechen erlebt: Als geistige Entität. Das „Hervorbringen des Buddha“ ist nie beendet, es ist kein Stadium, keine Eigenschaft und kein Ziel- es ist eine Initiative, immer situativ, immer nur in reiner Präsenz erlebbar.

Von hier aus wandert der Anfänger - Geist nicht mehr allein, sondern- nach Zenji- z.B. in Gesellschaft von Bergen, von denen er sagt, dass sie - wie der Geist des erwachten Menschen- zugleich „ständig in Ruhe“ sind und doch ständig „gehen“. Waskönig versucht diese Bewegung zunächst physikalisch zu deuten. Vermutlich schauen die Berge auf den Geist wie der Geist auf die Berge, und sie freuen sich aneinander, in einer ihnen gemeinsam eigenen Tugend: „Den Bergen fehlt keine der ihnen angemessenen Tugenden. Daher sind sie ständig in Ruhe und gehen ständig. Wir müssen uns dem detaillierten Studium dieser Tugenden des Gehens widmen.“ (13)

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1 Das Shobogenzo des Dogen Zenji. Die zentralen Passagen- erschlossen und kommentiert von Dagmar Doko Waskönig. Frankfurt am Main 2010
2 dito S. 20
3 dito S. 23
4 dito Zenji, S. 26
5 dito Waskönig, S. 27
6 dito S. 28
7 dito, S. 29
8 dito, S. 34
9 http://www.infameditation.de/anthroposophische-meditation/beispiele/gedankenmeditation/
10 dito; S. 58
11 dito, Zenji, S. 52
12 dito, S. 39
13 dito, S. 65