Licht und Freiheit
Das Büchlein mit diesem Titel -Licht und Freiheit- ist eines der universellen Denk- Meditations- Bücher, die der Autor Georg Kühlewind noch in den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende veröffentlicht hat. Kühlewinds Bemühen bestand darin, wie er im Vorwort schrieb, einen „kurz gefassten, leicht verständlichen Wegweiser für die innere Arbeit“ (1) zu verfassen und damit „die wunderbare Natur des Lichtes in Erfahrung zu bringen, das als inneres Licht Aufmerksamkeit genannt wird.“ Kühlewinds voraussetzungsloser Weg ist weder mit Parolen, mit ideologischen Vorgaben, einem „Zoo von geistigen Wesen“ oder mit haltlosen Versprechungen versetzt- es geht, auch über sprachliche, kulturelle und religiöse Grenzen hinweg darum, vielleicht „Leser an der Gegenwart dieses Lichtes teilhaben“ zu lassen, wenn sie dies anstreben, suchen oder praktizieren wollen. In der anthroposophischen Bewegung selbst blieb Kühlewinds Ruf weitgehend ungehört- dieser sein letzter Appell an die geistige Differenziertheit der Szene, die sich allerdings lieber weiter und weiter mit politisch fragwürdigen Akteuren des rechten und irrationalen Spektrums, mit Corona- Impf- Gegnern sowie mit Pseudo- Okkultistinnen wie Judith von Halle einließ, aber auch mit Verschwörungstheoretikern und Putin- Verstehern.
Die Meditationen um die Aufmerksamkeit herum haben deshalb einen universellen Charakter, da Kühlewind stets verschiedene spirituelle, philosophische, weltanschauliche und kulturelle Strömungen in seine Betrachtungen einbezogen und natürlich die sprachliche Besonderheiten und Absonderlichkeiten der anthroposophischen Szene vermieden hat . In dieser Szene gilt die Marotte, so wie der Meister selbst zu sprechen und zu schreiben, als Wiedererkennung- Merkmal erster Klasse. Wer stilistisch nicht wie der Meister schreibt und spricht, hat das Gütesiegel oft nicht verdient und wird verstossen aus dem Geistsucher- Stamm.
Kühlewind setzt diesem Büchlein ein Zitat des französischen Philosophen Nicolas Malebranche voran, der schon im 17. Jahrhundert konstatierte: „Die Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet, das wir an die innere Wahrheit richten, auf dass sie sich in uns offenbare“ (2) Das Thema ist rational gewählt- geht es doch um die Selbstgewahrwerdung des Geistes- allerdings nicht im Sinne von esoterischer Theorie, sondern faktisch und praktisch durch ein Innehalten und ein Erfassen der dynamischen Kräfte des eigenen Bewusstseins. Man darf doch sagen, dass der individualistische Kosmos der eigenen Vorstellungswelt dann weiter gefasst überwunden werden kann, wenn die Dynamik, die aktuelle Gegenwärtigkeit der aufmerksamen Betrachtung ins Auge gefasst wird. Die kleine Binnenwelt, die das Ego sich baut, verlässt derjenige, der ihr Zustandekommen, ihre universelle Natur, ihre Kraft, auch nur im Ansatz erfährt.
Wie nun umgehen mit so einem rationalen, gleichwohl substanziellen Meditations- Buch? Es ist nicht unbedingt geeignet zum Durch- und Querlesen, da meditative Akte, aus deren aktiver Gestaltung dieses Buch entstanden ist, etwas stiften, das wiederum vor allem im meditativen Akt des Lesers erfasst werden möchte. Seine Arbeitsmethode jedenfalls hat Kühlewind in seinem persönlichen Nachwort offenbart: „Wenn ich schreibe, so geschieht es fast in einem kontinuierlichen Meditieren, viele Meditationen in einem Bogen, ohne zeitliche Begrenzung..“ (3) in diesem Zusammenhang spricht er den idealen Leser an, der es auch bis zu diesem Nachwort geschafft hat und der beschrieben wird als jemand, „der ein übendes Leben zu führen versucht“ (3). Er empfiehlt diesem Leser, gerade in Bezug auf die individuelle Adaption allgemeiner Züge von Meditationen, wie sie in einem solchen wie dem vorliegenden Buch vorliegen, einen Weg des Experiments. Ansonsten beweise die meditative Übung täglich ihre Vorteile für den Alltag- sei es in Forschung, in Vorlesungen und im Seminare Halten, da damit „Zeit und Energie“ gespart würden. Man ist quasi aus dem Stand fokussiert, strukturiert und produktiv.
Die Übungen am Fluss der Aufmerksamkeit, inmitten der „weichen“, aufnehmenden Fokussierung, werden bewegt und berührt von einer Ebene „jenseits des Subjektiven und Objektiven, selbst Bedeutung ist zeitlos und raumlos. Aufmerksamkeit gehört nicht mir, ebenso wenig wie Sprache und Denken. Daher gehört nichts mir.“ (4) Paradox genug, dass gerade mit der weichen, universellen „von innen aufleuchtenden Aufmerksamkeit“ (4), in der das Gefühl aufkommt, dass es absolut nichts zu erlangen und anzustreben gäbe, auch ein - oder das- „Ich-Bin“- Erlebnis verbunden kann. In der Durchdringung der Aufmerksamkeit, in der Prägsamkeit ihrer sanften empfangenden Kraft, erfährt der Mensch sich als geistiges Wesen, und zwar in der essentiellen Erfahrung „Ich bin immer am Anfang“ (4).
Wer hat die Leidenschaft dazu? Wer fühlt sich jenseits der üblichen Wellness und Folklore- Esoterik einer solchen rationalen und gleichwohl essentiellen meditativen Praxis verbunden, die kaum Regeln kennt bis auf die, nicht zu schwätzen und tatsächlich zu praktizieren, nichts zu behalten und sich mit nichts zu schmücken? Es wird ja jede Geste, wenn sie sich einmal überlebt hat, zum Kitsch und zur destruktiven Illusion- auch und gerade die des „Suchenden“. Alles, was vom Selbstgefühl durchdrungen wird, wird zum kitschigen Gegenbild seiner selbst. Die stolzen „Selberdenker“ mit den silbernen Haaren haben manche Anti- Corona- Demonstration angeführt, heute bilden sie vermutlich das Stimmvieh der Rechten rund um den Globus.
Also, um es rundheraus zu sagen, das vorliegende Buch kann man kaum beschreiben oder inhaltlich präzise und schlüssig wiedergeben. Um es zu entschlüsseln, bedarf es eigener Experimente, eines gewissen persönlichen Engagements. Vielleicht liest man es gar nicht, sondern beschäftigt sich nur mit ein oder zwei Sätzen des Buches. Dieses Buch entschlüsselt sich im Tun. Daher kann man es von hinten oder von der Mitte aus beginnen, wenn man mag, in Teilen oder als Ganzes, vorwärts oder rückwärts.
Es gibt schnelle und langsame Leser und Spaziergänge. Manche verlieren im Schlendern, andere wollen ständig eigene Rekorde brechen. All diese Selbsterfahrungen macht man in der Meditation wie im Lesen dieses Buches, was auf dasselbe hinaus läuft.
Belassen wir es also ganz hinten, hinter dem Nachwort und vor der Werbung des Verlages mit einigen „Meditationen“ Kühlewinds, die ihm offenbar noch so eingefallen sind, und davon betrachten wir nur die letzten. Dort -5- finden wir „Wenn Licht sich selbst findet, vervielfacht sich sein Leuchten und singt.“ Das haben wir sonst noch nicht so erlebt, die Sache mit dem singenden Licht. Es ist, in dieser Unmöglichkeit, ein meditativer Satz - einer, den man erst verwirklichen muss, damit er wahr wird. So, wie er da steht, ist er erst einmal eine Suchanweisung, jedenfalls ein Hinweis mit Bedingung. Das Sich- selbst- Finden des Bewusstseinslichts ist eine Erfahrung, die der Leser vielleicht noch nicht gemacht hat. Das Bewusstsein selbst muss sich beweglich machen, sich in Bewegung versetzen, um die Selbst- Vergegenwärtigung überhaupt und vielleicht nur im Ansatz in den Erfahrungs- Horizont zu heben. Aber dann, womöglich, erlebt er sich als der Reiche, dem gegeben wird, denn das Licht, das seiner selbst gewahr wird, muss sich aus sich selbst heraus vervielfachen, bevor es sich auch qualitativ verändert, hinein in dieses Andere, Unbekannte, das sich unabhängig, über- individuell, aus sich selbst existent anfühlt, aber auch eine Richtung hat- eine in Richtung Tönen, Sprechen, Offenbaren, eine in Richtung immer tiefer und voller zu klingen und zu scheinen, aus der Nische des dualistischen Denkens hinaus in eine Kraft, die aus dem Innersten und Äußersten zugleich ertönt.
Dieses Leersein, in dem der Ton erklingt, erscheint zugleich als etwas, dem man sich immer weiter hinzugeben fähig sein könnte, ohne es anzustreben oder zu suchen. Die Suche selbst war ein Widerschein des Dualismus. Nun ist alles, was wir suchen das: „Je unbewegter, desto erkennender.“ (5). Zu der Transparenz des Klingens und Scheinens gehört eben, dass man es weiß: „Je unbewegter, desto erkennender.“ Es ist, als ob man in einem Flussbett sinkt, tiefer und tiefer, fern von jeder Form, bis der Wille ein Teil des Flusses geworden ist. Ist das kitschig? Ja, und wie.
1 und folgende: Georg Kühlewind, Licht und Freiheit, ein Leitfaden für die Meditation, Stuttgart 2005/ 2
2 Kühlewind, S. 9
3 Kühlewind, S. 63
4 Kühlewind, S. 60- 61
5 Kühlewind, S. 68