Das Herz- Sutra

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Der große alte Thich Nhat Hanh, dem ich in einer persönlichen Krise viel verdankte (bzw einem seiner weisen Hörbücher), ohne mit seiner Community etwas zu tun zu haben, hat nun das Mahayana Herz- Sutra neu übersetzt- ins Englische. Das Sutra wird noch mit Musik unterlegt werden und in den betreffenden Communities gesungen werden: "This new translation will now be used in all Plum Village chanting sessions and ceremonies, and it will appear in the next edition of the Plum Village Chanting Book. The chant is being set to music and will be available soon."

Das ist nichts für mich. Aber das Herz- Sutra, dem Thich Nhat Hanh den schönen Titel "Das Verstehen zum Erreichen des Anderen Ufers" (The Insight that Brings Us to the Other Shore) gegeben hat, ist doch eine intensivere Betrachtung wert.

Ich übersetze einen Passus daraus (Ill-being, the Causes of Ill-being// the End of Ill-being, the Path// insight and attainment// are also not separate self entities.// Whoever can see this// no longer needs anything to attain) frei:

Die Krankheit zum Tode und ihre Ursachen
das Überwinden der Krankheit, der Weg,
Einsicht und Vollendung
sind keine unterschiedlichen Daseinsformen.

Wer dies einzusehen vermag
hat das Ende der Suche gefunden.

Es handelt sich in der meditativen Praxis in der Tat um eine der grundlegenden Intuitionen, um eine reale geistige Erfahrung: Die Erfahrung des geistigen Selbst ist nichts "Anderes", nichts "Fremdes"; die Vorstellung der Trennung zwischen physischer und geistiger Existenz ist selbst ein Teil des illusionären falschen Seins. Stattdessen wird die Erfahrung gemacht, dass das seelisch- physische Gewordensein ein Ausdruck des immer aktiven, gestaltenden Selbst ist, das eben durch Inkarnationen lernend bemüht ist, sich besser und besser zum Ausdruck zu bringen, und die Haftung an eine bestimmte Ausdrucks- und Inkarnationsform zu überwinden, indem die Lebendigkeit selbst stärker und unmittelbarer, unkorrumpiert und mit geeigneten sozialen Fähigkeiten zur Gestaltung kommt. Das Verlorensein, das Vergessen seiner selbst in der Identifikation mit einer Form ist eine Übergangserscheinung. Dort, wo sich die Lebendigkeit auch deshalb entfalten kann, weil nicht nur verstanden, sondern das Verstehen selbst zum Lebensmittelpunkt wird, ist die Suchbewegung in der Tat zum Ende gekommen- was nicht bedeutet, dass nicht immer neue Formen der sozialen und kommunikativen Entfaltung gesucht werden. Aber das Anhaften, die Verwirrung von Seele und Geist, das falsche Hinterherlaufen hinter idealisierten, abstrakten und bloß vorgestellten Facetten eines falschen Seins kommen an ein Ende.

Das "Licht" dieser Einsichtsfähigkeit bindet Thich Nhat Hanh an ein Boddhisattva- Bewusstsein: "Bodhisattvas who practice// the Insight that Brings Us to the Other Shore// see no more obstacles in their mind// and because there// are no more obstacles in their mind// they can overcome all fear// destroy all wrong perceptions// and realize Perfect Nirvana."
Die Orientierung folgt bei ihm also der Spur vollendeter Menschen. Dem muss man nicht folgen, da für den einsichtigen, verstehenden Christen die Auferstehungskräfte "das Leben" durchdringen und tragen. Letztlich entstammt auch die Intuition der Einheit der menschlichen Präsenz aus der Kraft der Quelle, die "das Licht der Welt" selbst ist.