Die heilige Mission des Zorns

Na, sieh sie dir an, die weichgespülten, aber zähen Funktionäre, wie sie die veränderten Realitäten wieder in ihre Agenda einzuordnen bemüht sind (1). Sieh, zum Beispiel, die Anthropopper, die nach vollzogenem Brexit die EU zum administrativen Monster, zum Erzfeind, zu Ahriman erklärt hatten. Ja, die EU tötet die Individualität, vor allem die des adeligen Landlords, der gern noch im Tweed- Anzug auf die Fuchsjagd geht, sein Pint in der dekorativen Bierschwemme trinkt, seine Klasse schätzt, über die Polen hetzt, aber im nahegelegenen Escort- Service gern die billigen Dinger aus Pakistan bucht. Herrgott, womöglich betreibt er als Hobby noch eine anthroposophische Facebook- Gruppe, die gegen VOLKSAUSTAUSCH schwadroniert. Kaum waren sie damit fertig, wurden als die ahrimanischen Erzfeinde Merkel und Soros erklärt, du weißt doch noch. Die Russen begannen wieder heimlich von Stalin, die Ossis von Honecker zu träumen, du weißt ja, die schöne Zeit, als man Nachbarn beschnüffeln, dämliche Kollegen denunzieren und mit ein paar Westmark etwas richtig schönes kaufen konnte. Man kannte noch jeden, die Busse fuhren noch und man konnte träumen, verstehste. West- Berlin war weit weg, und im Keller waren die Erbsen und eingekochten Tomaten eingelagert. Ab und zu grillten wir zusammen, und unsere Firmen hatten Bestand und irgend wie Substanz. Heute weisste ja nicht, ob dich morgen ein Chinese aufkauft. 

Und dann, als diese Zornes- Schale verraucht war, dann kam das Virus, natürlich auch aus China. Die meisten Ausländer hatten es durch Sprachkurse und Fortbildung schon weiter als unsereins gebracht, ich meine, bis zum Facharbeiter. Vielleicht führen die ja irgend wann hier die Unternehmen, man kanns nicht wissen. Dann werden die verbliebenen Deutschen vor die Tür gesetzt. Die anthroposophische Tante meint, das seien die luziferischen Scharen aus dem Osten, die hätten uns kalt erwischt, weil wir nicht aufmerksam waren, sondern immer auf unseren Handys rum gewischt hätten. Jetzt haben wir den Salat. Überall gibts Kebab und Hummus. Die jungen Leute werden praktisch mit dem Zeug groß gezogen. Aber gut, der klassische deutsche Braten kommt heute aus so einer Großmetzgerei wie Tönnies, da stehen die Bulgaren mit Kettensägen und bereiten dir das Schnitzel vor. Dann werden die wie Sklaven in ihre Massen- Unterkünfte eingepfercht und husten sich über Nacht gegenseitig an. Da wird man doch von selbst zum Vegetarier. 

Siehst du, steigt mein Zorn wieder hoch. Selbst die Holländer lassen die Ostarbeiter lieber auf deutscher Seite wohnen, dann dürfen sie morgens über die verdammte offene EU- Grenze und zersägen die Limburger Braten und bereiten Kebab und Frikandel zu, vermute ich mal. Ostarbeiter, wenn man das schon hört. Ich meine, die Deutschen hatten für die Idee schon immer ein Faible. Das hat auch was von Kolonial- Zeiten, oder? Damals mussten die Neger noch das Gummi für unsere Mercedes- Limousinen zapfen. Heute darf man Neger nicht mehr sagen, und es sind auch keine Neger mehr, und sie sägen auch mehr, aber Sklaven sind sie alle, oder? So oder so. Der Aldi ist doch ein Sklavenmarkt, wir wollen über die Klamotten gar nicht sprechen. Oder über das Gemüse. Selbst die Tomaten für die italienische Bio- Soße werden von geflohenen Afrikanern in Süditalien geerntet. Und dann kommen die Ausbeuter, die gern beim Discounter einkaufen, schwenken Reichtags- Flaggen und wollen ihren Dings zurück. Wie zornig die sind.

Na, ich bin es auch. Man legt die Schleier über die Realitäten, bis sie gülden schimmern, das ist es. Erst eine Lage Nationalismus, dann eine Lage Selbstgerechtigkeit, dann eine Lage Geschichtsvergessen, und dann noch etwas zur Veredelung, wie Spritzgebäck, etwas Heiligkeit, Esoterik, Kaiserschmarren. Manche Leute werden davon lebenslang besoffen, glaub es mir. Sie wissen nicht, dass diese Lügen von Zorn zusammen gehalten werden, die Lebenslügen, und unten drunter werden sie von Angst gespeist. Guck dir die Männlein an, die heute die Demonstrationen von Corona - Leugnern bestücken. Die die Nazis neben sich nicht sehen, so wenig wie, die vor kurzem noch von Umvolkung schwadronierten. Heute gucken sie mit feuchten Augen den KenFM bei YouTube und geraten dann in eine Stimmung zwischen Kurzatmigkeit, Zorn, Selbstgerechtigkeit und Überzeugung. I can see the light, sagt der Erleuchtete, wenn er zufällig Engländer ist. Dann malt er ein Plakat mit Sprüchen wie Ich kann nicht mehr atmen in der Merkel- Diktatur, und malt ein No- Gates Button darauf. 

Es wird Zeit, etwas zu unternehmen. Sonst saßen wir gern noch bei einem Gläschen zusammen und erzählten über die neue Waldorf- Erzieherin, die irgendwie so verhuscht ist wie wir früher auch, aber auf gute Art und Weise, und die Kinder lieben sie. Die kennt auch ein paar Gnomen- Märchen, die uns unbekannt sind. Aber man versteht sie so schlecht unter der Corona- Maske, verstehste. Das und der badische Akzent. Das klingt, als ob du den Gärstoff aus einem Bierfass ablässt, und die Kinder verstehen nur „Schwergeland“ und ansonsten PFF. Ich weiß nicht. Auf der Demo war sie jedenfalls nicht. Aber alle, die man aus dem Meditations- Kurs kennt, und der anthroposophische Kursleiter natürlich vorne weg. Ich hatte ja schon immer die Theorie, dass der Zorn fürs Meditieren förderlich ist, jedenfalls, wenn man wütend ist, dann hat man es nötig, zu meditieren, oder? So ein Waschlappen, der nur Steiner- Zitate vor sich hinbrabbelt, braucht das nicht, der ist eh immer verhuscht. Der quatscht dir den ganzen Abend ein Ohr ab über das reine Denken. Nein, da ist mir der Kursleiter lieber. Der ist klar und bestimmt, und sagt wie es ist mit Drosten, dem ZDF und Bill Gates. Wir leben in einer Medien- Diktatur. Da muss man zornig sein, um geistig zu bestehen. Wir sind zornig, um zu existieren! Wir sind humane Wesen! Wir wollen Freiheit! Wir wollen nicht geimpft werden von der Meinungs- Mafia und dem EU- Parlament! Ich bin ich!


Kursbuch anthroposophische Coronafreunde: https://www.akanthos-akademie.de/

1 Peter Selg erkennt keine Nähe zum Rechtsextremismus: https://www.akanthos-akademie.de/2020/09/12/peter-selg-widerspricht-dem-vorwurf-einer-n%C3%A4he-der-anthroposophie-zu-rechtsradikalen/