Die Anthroposophen als Illuminaten im SPIEGEL


Süß. Der Ex- Waldorfschüler Tobias Rapp (1) fühlt im SPIEGEL den unbezwingbaren Drang, mit seiner Schulzeit abzurechnen- ein Verlangen, das nicht wenige Schüler betrifft, nicht nur auf der Waldorfschule. Um dem Thema auch den richtigen Drall zu verpassen, wittert er im anthroposophischen Background einen einflussreichen Illuminaten- Zirkel, der wie eine „Sekte“ (2) unbemerkt die Gesellschaft unterwandert hat und Wortführer sei bei den Impfverweigerern der Nation: „Nirgendwo in Westeuropa ist die Impfquote so niedrig wie im deutschsprachigen Raum. Das liegt auch an einer einflussreichen Gruppe: den Anthroposophen. Als Waldorfschüler habe ich sie kennengelernt.“ Der Untertitel alleine  „In Steiners Sekte“ suggeriert ja schon so eine Art Kaspar- Hauser- Gefangenschaft in einer Geheimorganisation, die allerlei Methoden angewendet hat, um den armen Tobias brainzuwashen. Als Beleg dafür bringt er eine Trauerfeier, an die er sich erinnere, in der die Schulgemeinschaft eines Mitschülers gedachte und in der auch in einem Gottesdienst die Worte gefallen seien, die Schulgemeinschaft solle der Seele des Verstorbenen nun helfen, ihn „hinüberzutragen“. Neudeutsch „loslassen“ oder so zu sagen wäre vermutlich in Ordnung gewesen. So aber fühlte sich Herr Rapp sein Leben lang beschämt und so traumatisiert, dass er das in einem SPIEGEL- Artikel festhalten musste, zumal die Eltern des Jungen einfach weiter machten, wie auch die Schule und die Geschwister. Offenbar findet Herr Rapp, dass es irgendwie Verantwortliche dafür geben müsse, dass der Junge an einer schweren Grippe starb: „Man hatte sich offenbar gegen eine ausreichende medikamentöse Behandlung entschieden.“ Offenbar. Vielleicht. Was man so hörte und tratschte. Zumal sowohl die Eltern wie der behandelnde Arzt der „Sekte“ verdächtig nah gestanden haben sollen, wie man so hörte: „Das Kind war der Sohn von sehr überzeugten Anthroposopheneltern gewesen, und der behandelnde Arzt war ebenfalls Anthroposoph.“ (1)

Diese umfangreiche Recherche in Anthrohausen ermutigt Herrn Rapp nun, das Thema auszubauen, nämlich unausweichlich auf die Corona- Pandemie zu kommen: „Wenn man die Karte der Bundesrepublik anschaut, sind Thüringen, Sachsen und Bayern entlang ihrer Außengrenzen von Covid-19 besonders stark betroffen, es liegt nahe, dass die geografische Lage einer der treibenden Faktoren ist. In Polen und Tschechien sind die Zahlen noch schlechter als bei uns.“ HUCH, denkt man, sind der Osten Deutschlands und die östlichen Nachbarn komplett von anthroposophischen Agenten unterwandert? Nein, schuld sind die Bayern und die Schweizer, vor allem aber das Bürgertum schlechthin, in dem das anthroposophische Denken auf fatale Weise grassiere: „Es gibt aber noch einen anderen Grund: die Impfskepsis eines speziellen bürgerlichen Milieus, das seine Zentren vor allem in Süddeutschland und in der Schweiz hat. Und viele dieser Leute sind Anthroposophen.“ (1)

Das sehe man schon daran, dass diese verdächtige Gruppe des Bürgertums, vor allem in Süd- und Ostdeutschland, sich gerne Weleda- Cremes ins Gesicht schmiere und biologisch- dynamisches Essen verzehre. „Bizarr ist es trotzdem.“ Ja, natürlich. Nun hätte man natürlich gern ein paar Belege bezüglich der behaupteten Korrelation zwischen dem Gebrauch anthroposophischer Cremes und der Corona- Inzidenz. Selbst halbwegs nachvollziehbare Zusammenhänge in minimal logischer Kausalität wären sehr willkommen, schon um den Artikel des Ex- Waldorfschülers aus dem Niveau einer Illuminaten- Fabel heraus zu hieven. 

Pustekuchen. Das östliche und südliche Bildungsbürgertum, so behauptet Rapp nun apodiktisch, sei eben in den ideologischen Fängen einer „christlichen Sekte“ gelandet- eben all diesen Menschen, die sich aktiv für eine „bessere Welt“ einzusetzen glaubten: „Überall in Erziehung, Körperpflege, Ernährung und Gesundheit mischen Anthroposophen mit. Sie selbst glauben, sich für eine bessere Welt einzusetzen. Eine Welt, in der Kultur und Natur nicht mehr im Widerspruch sind, Arbeit und Kapital, Glaube und Wissen. Man könnte aber auch einfach sagen: Sie sind eine christliche Sekte.“ (1)

Man denkt unwillkürlich: Umweltschützer, Grüne, Tierwohl- Aktivisten: Sind die alle anthroposophisch gebrainwasht? Ist die GLS- Bank, die sich für ökologisches Investieren engagiert, denn die Speerspitze des Illuminaten- Kampfes, der die Gesellschaft unterwandert? 

Da es dem Autor, der Baustein für Baustein einer vollumfänglichen Verschwörungstheorie aufbaut, weiterhin an logischer Stringenz, Belegen oder auch nur etwas mehr als assoziativ aufgebauschten Argumenten fehlt, setzt er nun zum Todesstoss an: Die Anthroposophen seien analog zur Scientologie organisiert und wirksam: „Denn Rudolf Steiner (1861–1925), der Begründer der Anthroposophie, ist für die Deutschen eine ganz ähnliche Figur wie L. Ron Hubbard für die Amerikaner. Ein Sektengründer und Großspinner, der einige Stränge der Kulturgeschichte verbindet und daraus ein Glaubenssystem gemacht hat.“ (1) Ähnlich, nun ja. Ähnlichkeiten gibt es viele im Leben. Eine Bank hat ebenso mit (Geld-) Verkehr zu tun wie ein gewisses Ministerium oder der Großpuff in Köln. Das verbindende Element beschreibt aber durchaus nicht hinreichend die unterschiedlichen Aufgaben. Für Rapp aber schon. Er setzt da einfach ein paar Analogien, bei denen man sich fragen muss, was er wohl geraucht haben mag: „Hyperindividualismus, Selbstverbesserungsideologie und Zukunftsglaube ist es bei Hubbard. Goethekult, Moderne-Kritik und Reformbewegungsglaube an die Natur ist es bei Steiner.“ (1) Spinner, so Rapp, sind jedenfalls immer die Anderen. 

So kommt er nun endlich auf des Pudels Kern. Die Impf- Skepsis begründe sich bei einem harten Kern der Anthroposophen durch die Vorstellung der Reinkarnation: „Daher rührt die Impfskepsis der anthroposophischen Kreise – ihres harten Kerns zumindest.“ (1) Dem weitaus größeren Teil allerdings sei die Jacke näher als die Hose, und sie würden natürlich nicht zu ideologisch eingeengten Impf- Verweigerern: „Und sehr vielen Anthroposophen ist ihr Leben dann doch lieber als ihr Glaube. Die allermeisten würden auch ihre soziale Stellung nicht riskieren, und derlei Blödsinn in der Öffentlichkeit verkünden. Für sie ist die Anthroposophie auch eher eine Wellness-Philosophie, eine Oberfläche für einen angenehmeren Alltag.“ (1)

Wie nun, rein logisch gefragt, erklärt sich die von Rapp vorher behauptete Ursächlichkeit zwischen hohen Inzidenzen und angeblich vorherrschender Einflussnahme von Anthroposophie im Bürgertum des Ostens und Südens? Da raunt die angeblich aufgeklärte Skeptikerseele etwas von „Größerer Einfluss, als viele ahnen“. Ihr Illuminaten, Ihr seid von diesem investigativen SPIEGEL- Artikel enttarnt!

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1 https://www.spiegel.de/kultur/waldorfschule-und-impfgegner-in-steiners-sekte-a-8242889d-190f-479f-bf6d-a22ccab54013?fbclid=IwAR3c23qKr5PYqBOdmTMNKJ9zA9AXuqgxOYfGs1Tc9qD0sJQa28MJz-qBj3Q

2 Siehe 1 Untertitel „In Steiners Sekte“