Living the Situation
Natürlich fragt man sich, falls man sich mit einem Thema Meditation im engeren, also spirituellen Sinn beschäftigt, wieso es den Einen interessiert, ja anregt, ja Teil der eigenen Identität wird, auf der Suche zu sein, während der/ die Andere arglos- fraglos an derlei Fragestellungen vorbei geht und auch nichts vermisst. Man sieht die vielen Verkehrungen und Verdrehungen, die Dekadenz ganzer spiritueller Bewegungen, den Absturz ins politisch trübe Flachwasser, in das Christen, Yoga-Institutionen, Selber- und Besserdenker, Anthroposophen, Wahrheitssucher, Putin- Vorsteher und Trump- Enthusiasten scheinbar haltlos treiben. Schon während der ersten Trump- Jahre, aber auch durch die Corona- Zeit hindurch hat man sich einerseits an den haussirrenden Unsinn gewöhnt, aber auch so weit wie möglich gemieden- schon wegen der chronischen Ereiferungs- Zeremonien, die ganz unabhängig von der spirituellen Herkunft, dem Geschlecht oder Herkunft ähnliche Denk-, Fühl- und Handlungsmuster hervor brachten. Lange Zeit suchte ich Gesellschaft bei rationalen Menschen, beendete Mitgliedschaften und ehemalige Freundschaften, da ich meine fortschreitende Zermürbung in Bezug auf verschwörungs- theoretisches Geschwätz und Gehabe nicht mehr leugnen und verbergen wollte.
Hat man eine Theorie, warum es gerade die Wahrheitssucher in die entlegenste geistige Diaspora treibt, die trotz ihrer Exzentrizität auch politisch zu einer Massenbewegung geworden ist, die in nicht wenigen Ländern populistische, irrationale Welterklärungsmodelle und eine Vorliebe für Strongmen hervor bringt, die Wissenschaft, Fachleute, Rationalität und Empathie zugunsten einer fragwürdigen Authentizität opfert.
Denken wir an den 1998 verstorbenen Advaita- Lehrer Jean Klein, und an sein Buch „I am“. Die Lektüre zeigt, dass Klein verschrobene Theorien, Übertragungen, Ableitungen und Handlungsanweisungen fern stehen. Es zeigt sich, dass Klein die essentielle Fragestellung kennt, aber nicht in die mit ihr verbundenen Fallen trabt, die Lektüre macht deutlich, dass Jean Klein an etwas anknüpft, das eben bestimmten Leuten widerfährt, anderen aber nicht - etwas wie „Wenn wir ganz allein mit uns sind, dann spüren wir diesen schlicht menschlich- existentiellen Mangel in uns“: „At certain moments, when alone, we feel a great lack deep within ourselves. This lack is the central one giving rise to all the others. The need to fill this lack, quench this thirst, urges us to think and act.“
Dieser Hunger, der möglicherweise die ganze Person als „Mangel“ durchdringen und sie in unterschiedliche, divergente Richtungen führen kann, von einer christlichen Erlösungs- Sehnsucht bis hin zu lebenslanger Suche, oder auch einem Sich- Verankern in ideologischen Extremen. In welche Richtung deutet Jean Klein mit dem unstillbaren Hunger?
Jean Klein vertraut ganz auf eine „lebendige Stille“, die man, wenn man durch eine Katharsis hindurch gegangen ist, erleben kann: „Only living stillness, stillness without someone trying to be still, is capable of undoing the conditioning our biological, emotional and psychological nature has undergone.“
So simpel wie paradox ist Kleins Botschaft: Spirituelle Suchbewegungen, der Hunger nach Sinngebung, Erlösung, Erleuchtung: das Alles ist durch den impliziten Dualismus - die Trennung zwischen dem aktuellen Ich, das sich selbst aufteilt in ein vorgestelltes, idealisiertes höheres, anderes Ich und eben das Ich, das diese Vorstellungen hegt. Andererseits soll zwar nicht übend gestrebt, sehr wohl aber im inneren Haushalt aufgeräumt werden- die „Konditionierungen“ von Persönlichkeit, Gefühlen, Selbstbildern, des biologischen Selbst sollen aktiv „undone“ - entsorgt- werden.
Ach, all die Encounter- Gruppen und Carl- Rogers- Gesprächs- Psychotherapien, die diesen Sätzen folgten; die Achtsamkeits- Wellen und Retreats!
Die lebendige Stille - innere Ruhe - setzt Jean Klein gleich mit einem Zustand, in dem das Sich- Bemühen- darum aufgehört hat. Das ist das Gegenteil von Sich- Bemühen, es ist eine gelassene, konzentrierte Daseins- Erfahrung. In der Stillness ist keine dualistische Suchbewegung mehr sinnvoll- sondern, nach Klein, eine souveräne, denkbar klare bewusste Instanz, die all diese inneren Knoten in sich bis in alle Winkel schon gesehen hat. Damit liegen die inneren Prägungen offen zutage. Das Innerste wird vor diesem Auge nach Außen gekehrt. Aber dieses Innere und Äußere, die Koordinaten des inneren Kompasses, unsere Art des Selbst- Empfindens, sind womöglich auch Aspekte dieser Konditionierungen, die „undone" sein sollen. Wäre das praktikabel oder wünschenswert?
Das ist die Gegenseite jeder bewussten spirituellen Arbeit, notwendigerweise. Andererseits ist die geringste Teilhabe am nährenden Strom dieser Stillness auch ein Gewinn, der ja auch etwas ist, der an diesem Strom am Ort der Kraft und des reinen Glücks entspringt.
Manchen Anthroposophen wird es vielleicht stören, dass Klein an der Stelle - sagen wir, einer Erleuchtung, nicht die Begrifflichkeit eines Geistselbst und seiner Hüllen zur Verfügung hat, sondern mehr das erlebt, was er hinter sich gelassen hat: „There is no controller, no selector, no personality making choices. In choiceless living the situation is given the freedom to unfold.“ Das ist die Haltung aller Weisen, aber auch derer, die sich in einer ideologisierten geistigen Festung verschanzt haben, ohne es zu bemerken.
Kleins Erleuchtung führt ihn dahin, dass er in seiner Lehre nicht nur auf eine inhaltliche Beschreibung geistiger Erfahrungen verzichtet, sondern auch auf einen Verzicht, meditative Techniken und Methoden zu verbreiten: "Given that Advaita, as Dr. Klein teaches it, is the direct approach to reality, it cannot make use of any method or technique." Das ist vielleicht der Grund, warum er nicht so bekannt wurde, wie er hätte werden können, hätte er nur beherzigt, dass man aus solchem Advaita des Nichts keinen Markt machen kann. Wozu Advaita, wenn man in Menschen keine Sehnsucht wecken kann- wonach auch immer. Dieses Advaita ist, schlicht gesagt, ein kommerzielles Desaster. Wenn jeder hat, was er braucht, wozu sollte er dafür bezahlen oder sich auch nur bemühen?
Das Nicht- Bemühen erweist sich indes als möglicher Schlüssel. Es ist, wenn man es ausprobiert, der schwerste Part: Das eigene Denken, Fühlen, Wollen anzuhalten und sich ganz im sanften empfangenden Willen - „stillness without someone trying to be still“ - zu entfalten. Man hat die Segel aufgestellt und wartet auf den aufkommenden Wind, um Zeuge seiner Entfaltung zu sein, die zugleich die meine ist. Es ist vielleicht ein Geschmack, ein Ton, ein Bild. Oder nur der Wind, der eine gewisse Süße hat, eine gewisse Substanz, die in der Stille bemerkbar wird. Die Brise bläst die gesetzten Segel auf, die sich entfalten in einer immer umfassenderen Ruhe. Das Nicht- Tun ruft den bewegten Wind herbei, und wir folgen ihm. Wir können gar nicht anders, weil wir selbst diese Beweglichkeit, die Leben sind, das im normalen geistigen Zustand als Aufmerksamkeit bemerkbar wird. *Hier*, in diesem Zustand am Grunde eines Sees von Schweigen, wird die Aufmerksamkeit, die ihrer selbst gewahr wird, zum sprudelnden, schaffenden, lebendigen Strom des „Ich bin“.