Mythen, Anti- Intellektualismus und hyperboräische Superiorität

Hier, u.a. bei Academia (1) ist ein neuer Forschungsbeitrag Peter Staudenmaiers erschienen, der thematisch fokussiert ist auf die Person Julius Evola- welcher zunächst durch seine lebenslange Freundes- und Arbeitsbeziehung zum angeblichen Christus- Eingeweihten Massimo Scaligero mit Anthroposophie zu tun hatte. Andererseits benutzen beide selbsterklärten Meister gerne esoterische Mythen, die die Einweihung- Thematik und Grals- Bezüge berührten, aus demselben Fundus, aus dem sich auch Rudolf Steiner bediente. 1945 behauptete Scaligero dann ja, nach seiner faschistischen Ära durch ein Einweihungserlebnis mit Christus- Begegnung eine Wandlung durchlaufen zu haben. Auch das, natürlich, eine dieser beliebten Eso- Mythen, die Saulus- Paulus- Wandlung. Danach wurde Scaligero einer der eifrigsten anthroposophischen Autoren mit durchaus anspruchsvollen Themen, bediente parallel aber auch weiterhin Evola und Publikationen der extremen Rechten in Italien. Überhaupt ist, wie Staudenmaier wiederholt nachweist, bei allen Beschönigungen und Verleugnungen die persönliche und politische Nähe Scaligeros und Evola zum Regime Mussolinis unübersehbar: „Scaligero wasn't some minor Fascist. He was one of the most voluble racist propagandists in Mussolini's entourage, publishing dozens and dozens of virulently antisemitic screeds in the Fascist press from 1938 onward. He was especially effusive in his praise for Nazism during World War II. Scaligero applauded Nazi Germany's "determined racist campaign" and eagerly endorsed Hitler's call for a "united Aryan front against Jewry." He held that Fascist Italy and Nazi Germany represented the heroic Aryan resistance against the Elders of Zion and their occult machinations.“ (2)


Für Scaligero stellte die Verbindung zwischen Faschismus, Anthroposophie und dem von ihm praktizierten meditativen „reinen Denken“ eine Position der Superiorität her, die er über Jahre bis zum Höhepunkt der Macht als Berater Mussolinis zelebrierte: „Zentraler Teil dieser magischen Tradition, die letztlich in Evolas Ideal einer SS- Kriegerkaste gipfelte, war der spirituelle Rassismus, der nicht nur eine leibliche, sondern auch geistige Superiorität der Arier über die anderen Rassen postulierte. Im Gegensatz zu den eigenen Darstellungen war diese „Adaption“ des spirituellen Adepten nur eine der Masken, hinter denen sich Scaligero versteckte. Er suchte nach eigenem Bekenntnis stets eine „faschistische Spiritualität“, die er, zusammen mit Evola, in der „solaren“ Natur der anthroposophischen Lehre fand. Die postulierte und praktizierte „Reinheit“ war sowohl rassistisch wie spirituell gedacht- Scaligero suchte immer das körperlose, rein geistige „reine Denken“, was die „solare“ Natur zum Vorschein brachte. Die Fähigkeit zu solcher Praxis war für Scaligero das grundsätzliche Merkmal überlegener Zivilisationen (the principal characteristic of superior civilizations). Rudolf Steiner war für eine solche Zivilisation  (zumindest in Scaligeros Augen) die geeignete arische Galionsfigur. " (3)

Ein Element dieser Superiorität aber war, wie Staudenmaier im aktuellen Artikel heraus arbeitet, der radikale Antisemitismus sowohl Scaligeros wie Evolas. Während Scaligero Einfluss 1938 auf das Mussolini- Regime nahm, sich stärker arisch und germanisch zu positionieren, sich vor allem aber anti- semitisch zu engagieren (4), war Evola ein unorthodoxer Ideologe des extrem antisemitisch ausgeprägten Faschismus, und zwar schon um 1930: „But Evola’s extensive contacts in Germany, along with his idiosyncratic version of the Aryan myth, offered a potential bridge linking Fascist and Nazi racial theories. He was one of the early Italian proponents of an uncompromising antisemitic stance, publishing a stream of articles, pamphlets, and books on race from the early 1930s onward.“ (1)

Evola vertrat eine pseudo- okkulte Arier- Ideologie, die im italienischen Faschismus deutlich weniger ausgeprägt war als in der deutschen Nazi- Ideologie, die dort aber nach 1938 einzog und Evola auch Popularität einbrachte: „When the Rome-Berlin Axis was proclaimed in 1936, it seemed to augur a new era of cooperation between the Fascist and Nazi regimes. Several basic differences nonetheless remained unresolved. Perhaps the most conspicuous concerned racial policy: while Nazi Germany had pursued an antisemitic program from the beginning, Fascist Italy did not follow suit until years later.“ (1)

Evolas okkult- reaktionäre „Revolte gegen die moderne Zeit“ mit ihren antisemitischen Konnotationen erschien seit 1930 auch und gerade in deutschen Publikationen, wie Staudenmaier zeigt, nicht zuletzt unterstützt durch ausgedehnte Vortragsreihen und durch Evolas Bewunderung für die SS als Kriegermythos: „Evola maintained friendly contacts with Nazi race ideologues Ludwig Ferdinand Clauß and Johann von Leers. As his appreciation for Nazi visions of Aryan glory grew, Evola came to admire the SS as an elite order representing superior values.“ (1)

Dass Evola dennoch nicht zum Hof- Okkultisten der deutschen Nationalsozialisten avancierte, lag wohl vor allem daran, dass sich die italienischen Faschisten einerseits als die älteren und ursprünglicheren empfanden: „When the Nazi regime was established in 1933, Mussolini had been in power for a decade, and Fascist thinkers sometimes looked down on their upstart northern neighbors.“ (1) Gleichzeitig traten ideologische Differenzen zu Tage- manche deutschen Nazi- Parteigänger hatten sogar Probleme damit, Italiener als echte Arier anzuerkennen. Andererseits empfanden Scaligero und Evola die biologisch- materialistische Fixierung der Deutschen auf den Holocaust als noch nicht weitgehend genug; die Überlegenheit der weißen Rasse sollte universeller gedacht werden, nicht nur in Bezug auf „Neger“ („Scaligero’s articles combined multiple strands of racism, denigrating the ‘Negroid races’ as bearers of ‘Asiatic-Semitic contamination’ and a constant threat to ‘the white race.’“ (1)), sondern auch in Bezug auf Ideen des Humanismus, der Demokratie schlechthin: „For Evola, Jews embodied all of the destructive forces of modernity, from democracy to humanitarianism to racial mixing. Aryan victory required their elimination.

Der „jüdische Geist“, so schrieb Evola nach 1938, umfasse Körper, Seele und Geist und führe zu Gleichheitsgedanken, Säkularismus und Rationalismus. Die Überlegenheit der arischen Rasse, die sich vor allem in Italienern und Deutschen repräsentiere, sei durch einen radikal rassistischen Staat durchzusetzen, um der orientalisch- jüdischen Zersetzung entgegen zu wirken. Die „olympische“ arische Rasse habe, nach Evola (1) seit hyperboräischer Urzeit kulturstiftend gewirkt. Der totalitäre Staat werde die Superiorität dieser weißen Rasse wieder herstellen durch die Kolonisierung der Welt, aber auch durch eine unverbrüchliche gemeinsame Achse mit den Nationalsozialisten. Im Vorfeld des Kriegseintritts trafen diese Appelle Evolas dennoch zunehmend auf Widerstand in italienischen Reihen, insbesondere bei den Faschisten in Rom, die Evola späten Parteieintritt verhinderten. Mussolini selbst las Evola noch 1941 mit einiger Begeisterung, traf ihn persönlich und setzte ein regelmäßiges Gehalt für ihn durch. Noch 1942 pendelte Evola zwischen Rom und Berlin, um für die gemeinsame Achse zu werben- trotz einiger Widerstände auch bei deutschen Nationalsozialisten seiner Person gegenüber. Auch katholische Kreise opponierten gegen den nebulösen Spiritualismus Evolas.

Während Evola nach dem Krieg ideologisch eine Leitfigur der neuen Rechten blieb, und auch für Figuren wie Alexander Dugin eine wichtige Orientierung darstellte (5), versuchte Massimo Scaligero, sich durch jährlich erscheinende anthroposophisch- sakrale Bücher ein humanitäres Image zu verschaffen. Tatsächlich sammelte er in Rom immer wieder junge und sehr junge Menschen um sich, die er als treue Anhänger belehrte und schulte. Sein Rassismus verschwand, um als elitäres „reines Denken“ meditativ wieder aufzuerstehen. Er erfand sich als durch Christus geadelten Menschheitslehrer neu. Der Anti- Intellektualismus, der in anthroposophischen Kreisen gepflegt wird, blieb als hyperboräische Superiorität Scaligeros Markenkern.

_______________links und bezüge


1 Racial Ideology between Fascist Italy and Nazi Germany: Julius Evola and the Aryan Myth, 1933 – 1943
https://www.academia.edu/43638581/Racial_Ideology_between_Fascist_Italy_and_Nazi_Germany_Julius_Evola_and_the_Aryan_Myth_1933_1943

2 Peter Staudenmaier zitiert in einem Beitrag der Egoisten 2016 https://egoistenblog.blogspot.com/2016/09/eine-huldigung-massimo-scaligero.html

3 https://egoistenblog.blogspot.com/2020/02/massimo-scaligero-der-faschistische.html

4 „Der (in seiner Autobiografie) praktizierende Gutmensch Scaligero bedauerte angeblich auch den Rutsch Mussolini ins antisemitische Konzept Hitler- Deutschlands 1938. Scaligero prangert fanatische Gegner an, die ihn eines „maskierten Antisemitismus“ geziehen hätten, während er selbst damals wie heute Rassismus doch als „mental error“ (25) ansehen würde. Hier lügt er schamlos, wie an vielen anderen Stellen, wie Peter Staudenmaier nachweist. (26) Gerade als der Faschismus Italiens in den Antisemitismus kippt, stimmt Scaligero das Hohelied der Arier und ihrer spirituellen Überlegenheit ab. Über die „ahrimanischen“ Juden, die es auszusortieren gelte, um die Reinheit des Blutes wie des Geistes herzustellen. Der angebliche Moralismus Scaligeros gipfelt in einer Aufforderung zum Massenmord: „the elimination of the Judaic virus and the biological re-integration of Aryan ethnic values“ (26).“ https://egoistenblog.blogspot.com/2020/02/massimo-scaligero-der-faschistische.html

https://www.deutschlandfunkkultur.de/mark-j-sedgwick-gegen-die-moderne-welt-intellektuelle-anti.1270.de.html?dram:article_id=467360